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PETER PAU

Elisabeth Nagy
Der Kameramann von „Tiger & Dragon zu „T&D“-Speziellem und Martial Arts-Allgemeinem wie den Besonderheiten seiner Arbeitsweise.

Die Kamerakunst ist für Peter Pau wie Poesie und kein Film gleicht dem anderen.
Peter Pau´s Filmographie ist eng verbunden mit dem Hong Kong-Film, obwohl er mit dem Jean Claude van Damme-Projekt „Double Team“ (1996) und dem Chucky-Sequel „Chucky und seine Braut“ (1998) auch Hollywood-Mainstream-Ware lieferte. Von seinen frühen Filmen, darunter mit „Die 7. Macht“ eine Art Live Action-Comic-Verfilmung a la „Indiana Jones“ und ein als erster Teil einer in den Fortsetzungen gelungeneren und erfolgreicheren Triologie fungierender Monumental-Schinken wie „A Terracotta Warrior“, ist vor allem „The Killer“ unvergeßlich. Mit „The Killer“ erlangte Regisseur John Woo und der Hong Kong-Film im allgemeinen auch bei einem breiteren Publikum Anerkennung. Chow Yun Fat spielt darin einen Profikiller, der bei einem Schußgefecht unbeabsichtigt eine junge aussenstehende Frau blendet, daraufhin in sich geht und mit einen letzten Coup das Geld für ihre Augenoperation beschaffen will. John Woo Woo drehte „The Killer“ in der Tradition der alten Schwertgefechtfilme und orientierte sich zugleich an den Western von Sergio Leone oder den Filme von Martin Scorese, und es ging ihm eigentlich zuvorderst um die Beziehung zwischen dem Killer und seinem Verfolger bei der Polizei, die sich erst bekämpfen, um dann gemeinsam gegen das Böse anzutreten. Ein Film mit vielen Kamerafahrten, Zeitlupen und Freeze Frames. In der fulminanten Showdown-Sequenz schließlich läßt Peter Pau die Killer im dichten Kugelhagel poetisch choreographiert dahinsinken.
So oft man Beschreibungen von Filmen liest, bei denen Peter Pau mitarbeitete, fällt auf, dass die Rezensenten immer auch die Kameraarbeit hervorheben, seine Projekte zeichnet schnelle Action und eine starke visuelle Sprache aus, und bereits in „Silver Fox“ (1992) fliegen die Darsteller durch die Lüfte, ein Film, in dem die Bilder in Ausstattung und Kameraeinstellung wie ein japanischer Anime-Streifen stilisiert wurden.
Geboren wurde Peter Pau 1952 in Hong Kong. Seine Jugend verbrachte er in der Heimatstadt, später lebte er in Kanton/China. In China arbeitete er übrigens als Lehrer, bis er dann in die Staaten ging und am San Francisco Art Institute zwischen 1979 und 1983 das Filmemachen studierte. Sein Schwerpunkt lag dabei auf Regie und Standbild-Photographie. Nach seinem Abschluß kehrte er nach Hong Kong zurück. Zuerst arbeitete er in Low Budget-Produktionen und drehte Filme mit befreundeten Filmemachern, realisierte nebenbei auch diverse Werbespots und stand bisher zweimal als Regisseur einem Projekt vor.
In seiner Karriere wurde Peter Pau 14 Mal für den Hong Kong Film Award nominiert (für „A Fishy Story, „Silver Fox“ und „Das unbesiegbare Schwert“ hat er die Auszeichung auch erhalten).
Seinen größten Triumph bescherte ihm jedoch „Tiger & Dragon“. Das, obwohl er für Regisseur Ang Lee eigentlich nur ungefähr die zehnte Wahl war, Pau stieß erst kurz vor Drehbeginn zur Produktion, wobei ausschlaggebend war, dass alle anderen keine Erfahrung im Action-Bereich hatten. Lee wurde mit Auszeichnungen überschüttet, für Peter Pau hielt das letzte Jahr BAFTA- und ASC-Award-Nominierungen bereit und als krönenden Abschluß der Saison erhielt er schließlich den Oscar.
Pau bedankte sich bei Ang Lee eilig für diese einmalige Chance und will jetzt aber schnell wieder selbst Regie führen, die Arbeiten zu „The Touch“ (mit Michelle Yeoh in der Hauptrolle) begannen diesen Sommer, während derweil in Deutschland der mit ihm an der Kamera abgedrehte „Wes Craven präsentiert Dracula“ startete.

Z: Obwohl Ang Lee so unterschiedliche Filme wie „Das Hochzeitsbankett“, „Sinn und Sinnlichkeit“ oder zuletzt einen Western mit dem Titel „Ride With the Devil“ ins Kino gebracht hat, haben wir, das Publikum, kaum erwartet, daß er einen Martial Arts-Film dreht. Sie aber haben Erfahrung in dem Genre. Wie verlief Ihre Zusammenarbeit?

Peter Pau: „Tiger & Dragon“ haben wir zur Gänze Ang Lee zu verdanken. Es träumt wohl jeder von uns davon, einmal einen Action-Film zu drehen. Kennen Sie Zhang Yimou? Von ihm ist der Film „Rote Laterne“. Auch er dreht jetzt einen Action-Film. Alle Regisseure träumen davon und auch Ang Lee wollte dem Martial Arts-Genre seine Ehrerbietung erweisen. Noch nie hat er einen Action-Film gedreht und er liebt diese Martial Arts-Filme. Er wollte allerdings keinen fäusteschwingenden Prügelfilm machen, ihm ging es um etwas anderes. Darum wählte er die Vorlage „Crouching Tiger, Hidden Dragon“. Wir kennen alle die Geschichten aus unserer Kindheit. Martial Arts hat eine Jahrhunderte alte Tradition. Worum geht es im Kung Fu? Darum, dass eine Person sich vom Boden abheben kann. Bei Ang sollten die Kämpfe durch die Lüfte choreographiert werden. Er nennt das „high-flying romance“. Genau das ist es auch, keine „high-flying kicks“ sondern „high-flying romance“. Ich habe bereits viele Hong Kong-Action-Filme photographiert, Filme wie John Woos „The Killer“. Die Arbeit an „Tiger & Dragon“ erfüllt mich mit Freude, denn hier treibt nicht die Action die Handlung voran, sondern die Geschichte. Action-Filme werden überwiegend von Action beherrscht. Nach einer gewissen Zeitspanne, nach ungefähr zehn Minuten muß es eine große Action-Sequenz geben. Weitere 20 Minuten später muß es wieder Action geben. Das ist genau durchgeplant. Nicht so bei „Tiger & Dragon“. Ang wollte einen poetischen Action-Film und es sollte nur dann Kampfszenen geben, wenn sie sinnvoll sind.

Z: Könnte es sein, dass der Erfolg von Filmen wie „The Matrix“ es erst ermöglicht hat, das westliche Publikum für eine Geschichte wie diese zu gewinnen?

Peter Pau: Nein. „The Matrix“ ist wie ein Videospiel und es ist wunderbar leicht anzusehen. Aber die Story finde ich schrecklich. Eigentlich gibt es keine Story bei „The Matrix“. Es ist ein kommerzieller Action-Film. So etwas
hat man schon oft gesehen. Diese Art von Filmen dreht man schon sehr lange. Ich liebe „Tiger & Dragon“, weil es um Charaktere geht, weil die Geschichte die Handlung bestimmt.

Z: Leicht hat man es Ang Lee nicht gemacht. Er mußte wohl drei Filme abdrehen, bis er „Tiger & Dragon“ realisieren konnte. Zu welchem Zeitpunkt kamen Sie zu dem Projekt?

Peter Pau: Erst sehr spät. Ang Lee hatte ja noch nie so etwas gemacht. Die Kameraleute, die er im Auge hatte, hatten auch keine Erfahrung in dem Bereich. Die Produzenten hatten kalte Füße bekommen. Sie wollten sicher gehen, daß der Film innerhalb des Budgets und Termingerecht fertig wird. Ich habe mit Action-Filmen eine Menge Erfahrung und so kamen die Produzenten auf mich. Ich war der letzte im Team, den Ang Lee kennenlernte. 12 Stunden später hatte ich den Job. Das war kurz vor Drehbeginn. Ang Lee ist wunderbar. Sehr zuvorkommend und freundlich. Nie würde er etwas nur verlangen, vielmehr fragt er einen nach der Meinung: „Ich würde jetzt gerne folgendes drehen? Was denkst du?“ Mit ihm kann man wundervoll zusammenarbeiten.

Z: Hatten Sie nicht zuerst Bedenken?

Peter Pau: Schon. Es sollte eine langwierige Produktion werden. Allein die Location-Suche dauerte Wochen und wir reisten durch halb China. Die eigentliche Drehzeit betrug fünf Monate. 102 Tage für die Main Unit und 50 Tage für die Second Unit. Andererseits war es einfach. Wir Kameraleute in Hong Kong arbeiten nach dem englischen System, das heißt, ich bin der D.o.P., ich setze das Licht, doch gleichzeitig schwenke ich auch die Kamera. Das macht es bei so einem Unternehmen einfacher.

Z: Bei den Action-Szenen?

Peter Pau: Ich fragte Ang „Hast du irgendeinen Film, also einen chinesischen Film, im Kopf, so als Vorlage? Wenn du mir ein paar Filme nennst, dann können wir versuchen etwas ähnliches zu machen. Auch als Richtlinie für den Action-Choreographen.“ Seine Antwort war: „Ich will keinen dieser Filme.“ – „Wie soll ich dann wissen, was dir durch den Kopf geht?“- Ich wußte erst einmal nicht, was er dachte. Ang sagte mir immer, was er wollte, aber bei Action-Sequenzen überließ er vieles dem Action-Choreographen und mir. Wir einigten uns, dass, wenn wir eine Action-Szene haben, dann auch eine durchdachte Kamerabewegung. Wenn eine Szene von dramatischer Struktur war, dann hielten wir die Kamera ruhig. Wirklich ruhig! Wenn es Action gibt, dann fliegt die Action und mit ihr die Kamera. Ihre Bewegung ist enorm, sie ist nonstop. Die Kampfszenen sind so noch interessanter, heben sich von den anderen Szenen ab.

Z: Wie war es für Ang Lee?

Peter Pau: Die erste Action-Szene, die wir drehten, war die auf dem Friedhof, wo Jade Fox und Li Mui Bai (Chow Yun Fat) gegeneinander kämpfen. Ursprünglich hatten wir zehn Drehtage veranschlagt. Am Ende waren es 20 Tage. Das lag daran, dass Ang für sich herausfinden mußte, wie er sie drehen wollte. Chow Yun Fat fliegt von einem Baum herunter. Er hing an einem Seil dabei. Diese Szene drehten wir 18 Mal, bis Ang zufrieden war.

Z: Für den Zuschauer ist es oft nicht einfach, den Kampfszenen zu folgen, so rasant sind sie.

Peter Pau: Ein Beispiel ist der Kampf im Bambus-Wald. Das sind nicht nur ein paar Bambus-Bäume, es ist ein riesiger Wald und die Bäume sind so um die 30 Meter hoch. Die Kamera mußte darüber hinaus ragen. Wir brauchten die Kamera nicht auf Höhe der Bäume, sondern wir mußten mit dem Kran 40 Meter hoch, um den Schauspielern bei dem Auf und Ab folgen zu können. Ich würde sagen, es ist nicht so leicht, diesem Film zu folgen. Wenn der Zuschauer den Film das erste Mal sieht, dann muß er erst einmal die Untertitel unten auf der
Leinwand lesen. Nicht wahr? Schaut er sich den Film ein zweites Mal an, dann weiß er, worum es geht und er kann den Kampfszenen besser folgen. Vielleicht sollte er sich dann den Film ein drittes Mal anschauen, das wäre nicht schlecht. Dann würde er wahrnehmen, wie die Kamera sich mit der Kampfhandlung bewegt, wie sie fliegt. Beim ersten Mal nimmt er das nicht wahr.

Z: Erzählen Sie bitte von ihrer Zusammenarbeit mit dem Action-Choreographen Yuen Wo-Ping.

Peter Pau lachend: Er hat schon so viele Filme gemacht und er ist berühmt (z.b. für „The Matrix“; Anmerk.: en), doch ich hatte noch nie mit ihm zusammengearbeitet. Ich kann behaupten, ich denke, er ist der sanfteste Stunt-Choreograph, den ich je kennengelernt habe. Nun, Ang Lee, er und ich waren eine Art Dreiergespann. Wir besprachen uns bei jeder Kampfszene ausführlich. Ich war hier nicht nur Kameramann. Ich besprach mit den beiden die Szenen und leuchtete sie aus und manchmal bat ich Ang, eine Szene zu verändern, wenn ich sie für klischeehaft hielt oder wenn ich der Meinung war, das hätte man so schon zu oft auf der Leinwand gesehen. Wenn man sehr viele Action-Filme gesehen hat, fällt einem auf, dass es viele Aufnahmen von unten oder von oben gibt. Nicht so bei „Tiger & Dragon“. Wir wollten die Kampfszenen immer auf der Augenhöhe behalten. Die Kampfszenen sind unglaublich, aber der Film ist es nicht. Wir wollten den Film glaubhaft machen. Durch die Beleuchtung wollte ich das erreichen. In Action-Filmen gibt es oftmals um der Dramatik willen Raucheffekte, Backlights und Lichthöfe. Nichts davon habe ich verwendet. In der Realität gibt es davon auch nichts. Um die Dramatik sollte es hier nicht gehen, es geht um zwischenmenschliche Beziehungen, und um davon berührt zu werden, muß es den Zuschauer von seiner Glaubhaftigkeit überzeugen.

Z: Wie viele Stunts haben die Schauspieler selbst durchgeführt?

Peter Pau: Die Schauspieler haben die ganze Drehzeit über ihre Kampfszenen geübt. Die letzte Aufnahme war die mit Michelle Yeoh und Zhang Ziyi in dem Innenhof. Aus einem ganz bestimmten Grund hatten wir diese Szene ganz ans Ende gesetzt. Zum einen, weil Michelle Yeoh sich am Anfang der Dreharbeiten am Knie verletzt hatte und wir warten mußten, bis es ihr besser ging und zum anderen, weil sie wirklich viel üben mußten. Man sollte auf der Leinwand sehen, dass es die Schauspieler sind, die kämpfen. In dieser Innenhof-Szene sieht man ihre Gesichter sehr häufig. Das liegt daran, weil es wirklich die beiden sind, die sich da bekämpfen. Michelle Yeoh hat Erfahrung darin, sie ist sogar ein Action-Star, sie hat auch einen James Bond-Film gedreht. Doch für die junge Zhang Ziyi war es ihr zweiter Film überhaupt. Sie hatte auch noch nie kämpfen müssen und lernte so viel, dass sogar Michelle von ihrem Können erstaunt war. Bei den akrobatischen Wirbeln in der Luft
brauchten wir allerdings Stuntdoubles, so etwas kann man nicht in fünf Monaten lernen, dafür braucht man Jahre.

Z: Ich habe gelesen, Sie hätten oft bis zu 18 Stunden am Tag gedreht. Überstunden waren die Regel. Wie hält man sich bei so einem Arbeitspensum physisch und psychisch frisch?

Peter Pau: Oh, das ist eine Übertreibung. In der Regel drehten wir 13 bis 14 Stunden am Tag. Keineswegs 18 Stunden. Wir arbeiteten sechs Tage und hatte dann einen Ruhetag. An meinem freien Tag bereitete ich mich geistig auf die kommenden Aufnahmen vor. Ich las das Drehbuch noch einmal sorgfältig und machte mir Notizen, zum Beispiel dazu, welches Licht ich benutzen würde. Während der Drehtage lebte ich sehr diszipliniert. Ich bin gleich nach der Arbeit nach Hause, aß etwas, duschte mich und bin dann direkt ins Bett. Sieben bis acht Stunden Schlaf sollten es sein. Es war schon eine Herausforderung der D.o.P. und der Schwenker auf einmal zu sein.

Z: Wie haben Sie denn mit der Crew zusammengearbeitet?

Peter Pau: In der Tat, das ist ein wichtiger Punkt. Nicht nur die Schauspieler sind in Aktion. Die Crew ebenso. Die ferngesteuerte Kamera und der Kamerakran ist ebenso in Aktion. Kran, Dolly, ich an der Fernsteuerung für die Kamera, wir alle müssen zu einer Bewegung verschmelzen. Michelle Yeoh und Zhang Ziyi kämpfen gegeneinander in diesem Innenhof. „Tschuh. Tschuh. Tschuh.“ (Pau schlägt mit den Händen, als kämpfe er mit Schwerten und macht dazu Geräusche) Man sieht die Kamera, alles ferngesteuert. Der Schwenker muß mit der Bewegung tanzen. Das ist sehr schwer. Ich glaube, ein Dollyfahrer in Hollywood würde so etwas nie machen. Sie würden nicht wissen, wie die Action-Szene ist und kaum passiert etwas, ist es schon vorbei. (Lacht.) Die Bewegungen der Crew müssen sehr präzise sein. Das ist eine Herausforderung. Das ist doch einmal eine andere Art der Kameraführung.

Z: In Hong Kong gibt es aber auch keine Gewerkschaften wie in Hollywood?

Peter Pau: Stimmt. Wir sind flexibler. Hollywood könnte einen Film wie „Tiger & Dragon“ wohl kaum machen. Sie würden es auch nicht erlauben, Schauspieler in Baumwipfel zu haben.

Z: Welche Talente und welche Persönlichkeit braucht man eigentlich, um so in einer Crew zusammenarbeiten zu können? Und inwiefern sind die Crewmitglieder anders als in Hollywood?

Peter Pau: Man braucht ein sehr gutes Auge, um der Action in einer Kampfkunstszene folgen zu können. Bin ich auf dem Dolly, geht das noch in Ordnung. Ich kann den Dollyfahrer lenken. Doch wenn wir mit dem Kran arbeiten, muß jeder Einzelne genau wissen, wie die Kampfszene aussieht. Wenn ein Hieb von hier und ein Kick von dort kommt und die Kamera nicht punktgenau an dem Ort ist, um diesen Hieb und diesen Kick einzufangen, dann hat die Kamera es verpasst. Einige Aufnahmen sind sehr kritisch. Der Schauspieler wendet sich von rechts nach links und dreht sich dann plötzlich zurück. Es ist aber nicht allein der Schauspieler, der diese Bewegung macht, sondern die ganze Crew. Wir müssen synchron arbeiten. Die Crew muß das Tempo fühlen.

Z: Man sollte sich also mit Martial Arts auskennen?

Peter Pau: Man sollte etwas über Martial Arts wissen. Man sollte für die Bewegung empfänglich sein. Es ähnelt dem Tanzen.

Z: Wie Musik.

Peter Pau: Ich liebe Musik. Zwar nur als Amateur, aber ich schreibe auch klassische Musik. (Lacht.) Ich mache so einiges. Ich denke, als Kameramann sollte man so viel wie möglich wissen, um seiner Kunst zu Diensten zu sein. Musik ist etwas Wesentliches. Theater ist wesentlich. Oft sollte man auch dem Regisseur Hilfestellung geben können, wie er die Schauspieler stehen, sitzen oder gehen lassen sollte. Oft frage ich einen Regisseur, welche Musik ihm durch den Kopf geht. Ich muß wissen, welche Musik er bei einem Film hört, dann kann ich die Kamerabewegung und das Licht dieser Musik anpassen.

Z: In der Pressekonferenz erwähnten Sie das Konzept der chinesischen Wasserfarben. Können Sie das etwas ausführen?

Peter Pau: Der Film basiert auf der chinesischen Wasserfarben-Malerei. Das heißt, alle Farben sind in Pastelltönen gehalten. Es gibt kein vollkommenes Schwarz und kein reines Weiß. Die Farbtöne halten sich alle im mittleren Bereich. Normalerweise versucht man das Schwarz so schwarz und das Weiß so weiß wie möglich zu treffen, aber wir suchten die Farbtöne dazwischen. Für die Studio-Aufnahmen haben wir 320 ASA verwendet, auch, um dem Film weniger Kontraste zu geben.

Z: Auch die Ausstattung und die Kostüme wurden in diesem mittleren Farbbereich gehalten.

Peter Pau: Genau. Ich habe mich mit dem Produktionsdesigner Tim Yip darüber geeinigt, denn das ist ein sehr wichtiger Punkt. In der Ching-Dynastie verwendete man alle Farben, sie spielten geradezu mit den Farben. Schauen Sie sich Beijing an und die Verbotene Stadt. Da gibt es dieses Burgunderrot und dann haben sie diese gelb-grünen Dächer. Die Verzierungen sind tiefblau. Das zusammenzubringen ist etwas schwierig. Also schlug ich vor, sich von diesem Tiefblau fernzuhalten, es auszuschließen, dann könnten wir alles andere in einer mittleren Farblage belassen. Und wir verwendeten Filmmaterial, das alle Tonlagen im Detail wiedergeben konnte. Und lassen Sie mich noch auf den Bildausschnitt kommen. In westlichen Filmen wären Sie in einer Dialog-Szene Schuß-Gegenschuß-Montage zu sehen. In der chinesischen Malerei würde hinter ihnen ein Baum stehen. Der Raum wäre also anders strukturiert. Ich habe den Szenen mehr Spielraum im oberen Bereich gegeben, damit man ein Gefühl für die Umgebung bekommt, für die chinesische Architektur oder die Landschaft. Auch das habe ich mir von den Wasserfarben-Malereien abgeguckt. Ich suchte eine sogenannte dramatische Quelle in den Film zu bringen.

Z: Steht ein Film wie „Tiger & Dragon“ in China und Hong Kong in der direkten Tradition dieser Martial Arts-Filme? Welche Stellung nimmt dieser Film dort ein?

Peter Pau: Wir haben den Film in Taiwan gezeigt. Ang Lee ist doch sehr bekannt und hat dort immer ein gutes Einspielergebnis. Der Film machte doch ungefähr 7 Millionen US Dollar. Der Filmindustrie in Taiwan geht es gerade sehr schlecht und Filme dieser Art hat man eine ganze Weile nicht mehr gemacht. Das Publikum liebte unseren Film. In Hong Kong war es etwas anders. Dort sind viele Action-Filme in den Kinos und Ang Lee kennt man kaum. An der Kinokasse war das Ergebnis auch etwas enttäuschend. „Tiger & Dragon“ spielte ungefähr 2 Millionen US Dollar ein. In den westlichen Ländern wurde der Film besser aufgenommen. Ich muß allerdings sagen, in Hong Kong sieht das Publikum selten Arthouse-Filme. Ihre Erwartungen sind ganz anders. Ihre
Präferenzen sind: „Ist es witzig? Ist es unterhaltsam? Gibt es eine Menge Action?“ Für einen einfühlsamen Film vor dramatischen Hintergrund sind sie nicht so offen. Hong Kong ist eine sehr kommerziell ausgerichtete Stadt.
Künstlerisch ambitionierte Filme spielen dort kaum eine Rolle.

Z: Sie leben in Hong Kong, aber ihr Studium haben sie in den Staaten abgeschlossen.

Peter Pau: Richtig. Die Kamerakunst ist im Grunde genommen eine westliche Sache. Die Kamera wurde schließlich nicht von Chinesen erfunden. Meine Eltern waren in Hong Kong in der Filmindustrie tätig, mir wurde sozusagen etwas in die Wiege gelegt und ich wurde sehr von meinem Vater beeinflußt. Ich wollte zur Kunsthochschule, nicht zu einer kommerziell ausgerichteten Lehrschmiede. Eine Hochschule für Bildende Künste könnte interessant sein, dachte ich. Also ging ich ans San Francisco Art Institute. Ich beschäftigte mich dann mit allen Filmtechniken, mit dem Schnitt, der Regiearbeit, den Special Effects, dem Ton. Ich lernte alles, womit ich später einem Regisseur eine Hilfe sein konnte. Um für einen Regisseur interessant zu sein, braucht
man viele Talente.

Z: Der Produzent James Schamus sagt, „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ sei wie „Sinn und Sinnlichkeit“, eben nur aus der Sicht von Martial Arts. Unrecht hat er damit nicht. Aber kann ein westliches Publikum wirklich den Kern der Geschichte verstehen?

Peter Pau: Es ist wirklich nicht einfach, die Geschichte wirklich in seiner Gänze zu verstehen. Ich gebe mal ein Beispiel. Ang Lee erzählt „Tiger & Dragon“ vor dem Hintergrund von drei Frauen. In dem Film geht es nur um
Frauen, nicht um Männer. Chow Yun Fat ist ein mächtiger Mann, doch er führt sein Schwert in der einen Hand und die andere Hand hält er hinter seinem Rücken. Das ist sehr stilisiert. Er ist mehr ein Lehrer, ein Mentor. Seine Gefühle hält er zurück, das macht ihn schwach. Chow Yun Fat ist ein schwacher Mann, denn er wagt nicht seine Wünsche zu erfüllen. Ganz anders die Frauen. Da ist zum einen Jade Fox, die Gegnerin von dem Mädchen, das von Zhang Ziyi gespielt wird. Doch sie ist nicht die Feindin von ihr. Jade Fox ist nur eine weitere Frau, die das Beste für die Kampfkunst will. Die alte Lady will den Erfolg. Des weiteren ist da die Frau mittleren Alters, gespielt von Michelle Yeoh, eine sehr traditionelle chinesische Frau. Sehen Sie, ihr Mann starb vor einigen Jahren und weil ihr Mann ein guter Freund von Li Mui Bai war, lebt sie ihre Gefühle für diesen nicht aus. Letztlich ist ihre Beziehung eine tragische. Sie bekommt nicht, was sie gerne hätte. Sie ist eine tragische traditionelle chinesische Frau. Und dann ist da Zhang Ziyi, sie spielt die Jen, die Jüngste. Sie ist ein selbstsüchtiges, verdorbenes Kind, das tut, was es will. Sie ähnelt sehr stark den Mädchen der jungen Generation. Jen interessiert sich nicht für die Gefühle der anderen, die junge Generation ist genau so. Jen hintergeht ihre Familie, sie verrät ihren Freund. Am Ende wird sie den Weg der Selbstaufopferung gehen, um für ihr Betragen zu büßen. Als ich das Drehbuch bekam, war ich angetan, denn es gibt bisher keinen Action-Film, der so so scharfsinnig in den Details ist.

Z: Die Vorlage ist sehr alt und viel umfangreicher.

Peter Pau: Ang Lee beschränkte sich auf die drei Liebesgeschichten. Die erste ist die zwischen Chow Yun Fat und Michelle Yeoh. Die zweite ist die zwischen Zhang Ziyi und Chang Chen, also dem Wüstenbanditen Lo. Die dritte Geschichte wäre die zwischen dem Wächter und der Tochter des Soldaten des Gouverneurs gewesen. Letztere konnten wir dann doch nicht zu ende erzählen. Der Film wurde zu lang und so mußten wir vieles herausschneiden.

Z: Werden Sie mit Ang Lee wieder zusammenarbeiten?

Peter Pau: Ich weiß nicht. Ang würde gerne die Geschichte vor dieser Geschichte verfilmen. Ein Prelude, wie bei „Star Wars“. Aber da ein Projekt wie dieses eine gewisse Zeitspanne in Anspruch nimmt und ein bestimmtes
Budget erfordert, könnte sich das schwierig gestalten.

Z: Aber mit Michelle Yeoh arbeiten Sie gerade jetzt wieder zusammen?

Peter Pau: Ich bin sehr glücklich, dass ich mit Michelle Yeoh so gut zusammenarbeite. Sie produziert gerade einen Film, in dem sie auch mitspielen wird. Der Arbeitstitel ist „The Touch“. Sie möchte mich als Regisseur haben. Es wird eine anrührende Geschichte sein mit vielen akrobatischen Tanz-Action-Szenen. Eine weitere Herausforderung für mich. Es wird eine große Produktion sein, keine reine Hong Kong-Produktion. Allein aus Hong Kong-Geldern kann nur Jackie Chan Filme machen. Wir planen den Film für eine Veröffentlichung in 2002.

Z: Vielen Dank für das Gespräch.


Tiger & Dragon
2000
Regie: Ang lee
Buch: James Schamus, Wang Hui Ling und Tsai Kuo Jung nach dem Roman Crouching Tiger, Hidden Dragon
Kamera: Peter Pau


Filmographie:

The Touch (2002 – Regie)
Tiger & Dragon (Crouching Tiger Hidden Dragon / Wo hu zang long, Ang Lee 2000)
Wes Craven präsentiert Dracula (Wes Craven´s Dracula / Dracula 2000, Patrick Lussier 2000)
Ban zhi yan /Metade Fumaca (Kam-Hung Yip 1999)
Chucky und seine Braut (Bride of Chucky, Ronny Yu 1998)
Anna Magdalena / On na ma dut lin na (Chung-Man Hai 1998)
Creature Zone (Warriors of Virtue, Ronny Yu 1997)
Double Team (Double Team, Tsui Hark 1997)
The Phantom Lovers / Ye ban ge sheng (Ronny Yu 1995)
National Treasure / Hua qi Shao Lin (Jeffrey Lau 1994)
Das unbesiegbare Schwert (The Bride with White Hair / Jiang-Hu: Between Love and Glory / Bai fa mo nu huan, Ronny Yu 1993)
The Eagle Shooting Heroes / Sediu yinghung tsun tsi dung sing sai tsau (Jeffrey Lau 1993)
Naked Killer (Naked Killer / Chiklo gouyeung, Clarence Ford / Fok Yiu-leung 1992)
Misty (1992 – Regie)
Too Happy For Words / Leung goh nuijen, yat goh leng, yat goh m leng (Stanley Kwan 1992)
Silver Fox (Saviour of the Soul / Gauyat sandiu haplui, David Lai & Corey Yuen 1992)
To Be Number One / Bo hao (Man Kit Poon 1991)
Meister des Schwertes (Swordsman / Xiaoao Jianghu, King Hu & Tsui Hark & Ching Siu Tung 1990)
A Fishy Story / Bu tuo wa de ren (Anthony Chan 1989)
The Killer (The Killer / Die xue shuang xiong, John Woo 1989)
Der Krieger des Kaisers (A Terracotta Warrior / Qin yong, Ching Siu Tung 1989)
He Bo (1988 – zusammen mit Hang-Sang Poon)
Die 7. Macht (The Legend of the Golden Pearl / Wai Si-Lei chuen kei, Teddy Robin Kwan 1985)
The Temptation of Dance (1984 – Regie)

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