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Ich wollte (n)immer artig sein...
Zu „Wir wollen immer artig sein...“- Einem Buch über „Punk, New Wave, Hip Hop, Independent-Szene in der DDR 1980 - 1990“, herausgegeben von Ronald Galenza und Heinz Havemeister

unbekannter Autor
Wer mit diesem Buch etwas anfangen könne, dem stecke die DDR noch immer in den Knochen...
so befand zumindest Christoph Tannert, selbst ein Mit-Autor des Buches und nicht zuletzt auch behandelter Akteur, sinngemäß auf der Releaseveranstaltung im Prater, Berlin/Prenzelberg, einer Art Riesen-Alternativ- Klassentreffen quer durch die Schichten, die da den DDR-(mehr oder weniger)-Underground stellten: die Historisierung rief und (fast) alle kamen, unter sich und dabei zu sein.
Recht hat er, in aller Zweideutigkeit. „Da music in my bones keeps me rocking...“ (Wayne Jarrett), oder so..., auch wenn die Nachhallvibrationen nur noch untergründig spürbar bleiben, glaube ich nicht, dass man dieser Sozialisation einfach so entfleuchen kann, bei manchen mag die Halbwertzeit erreicht sein (je nach Verstrahlungsgrad), bei anderen die Sublimierung gelungener, wieder andere behaupten, „damals“ ´eh nur bei sich gewesen zu sein, was wohl nicht weniger als eine Lebenslüge, wenn auch manchmal vielleicht eine überlebensnotwendige.

Aber bleiben wir persönlich, wenn wir schon betroffen sind, im Mehrfachsinne gar.
Die eine Betroffenheit ist die einer Erkenntnis, wie fremd einem die eigene Geschichte sein bzw. werden kann, was nicht neu und logisch in dem Sinne, dass der eigene Betrachtungswinkel mit zeitlicher Entfernung sich verändert, Schmerzlosigkeit birgt diese Erklärung aber noch lange nicht. Die Selbst- und Insiderdarstellungen des Buches zwingen mich jedenfalls zur Positionierung- wo war man selbst, warum und irgendwie damit auch: auf wessen Seite bzw. zu welcher ging die Tendenz beim Freischwimmversuch in der allseits kontrollierten Grauzone, gelegentliche Lichtblicke inklusive beim effektreichen Zerfall des Systems (jenes „Spießerkram“-Sozialismus...: Knarf Rellöm Ism), den ich in jener Unausweichlichkeit so gar nicht wahr nahm, da war die Illusion vor, dass Perestroika/Glasnost easy übertrag- und umsetzbare Dinge seien mit geradezu gesetzmäßiger Erfüllung. Ach, hoffnungsfrohe politische Naivität, verquirlt mit super-eklektischem Mischmasch an Pop/Subkultur: Part Time Provinz-Punk, Parocktikum-Addict, Politikbegeisterung gar nicht so weit von Opportunismus, Systemakzep-Tanz, irgendwie auch Feigheit vor den scheinbar betonierten hierarchischen Realitäten, in und neben denen man sich einzurichten und möglichst wild zu bewegen versuchte. Meine- in diesen Zusammenhängen durchaus skurrile- Biografie hier auszubreiten, eingepackt in DDR-Sound, liegt mir aber dennoch nicht gerade nahe. Mittelwegsansatz also.
Was den Zeitraum des Buches angeht, bin ich Spät- und dabei Nebeneinsteiger, mein erstes „schräges“ Konzert war der 17.04.1987, Electro Artist und Fett im Haus der Jungen Talente (heute Podewil) zu Berlin, immerhin ein mehr als guter Einstieg (hier gehen Grüße an den ebenfalls an diesem Tag eingeweihten Matti!). Eine der besten und eigenständigsten Gitarrenbands (Electro Artists), die es wohl auch im Drüben zu etwas hätte bringen können, mit genauso interessanter szeneinterner Historie (Aufruhr zur Liebe...) und Spätfolgen (Fleischmann) zusammen mit einer der ambitioniertesten Formationen, was die Verquickung von schief gestellten Sounds mit Lyrik angeht, schließlich war Leonhard Lorek hier am Fett-Wort, minutenlang deklamierend, den kleinen Raum damit bereinigend, unwillige Spreu vertreibend (die öffentlichen Gitarrenstimmexzesse der Elektroartisten gaben dann noch ihr Übriges dazu). Ahnungen hatte man aber schon weit früher, da waren die Punks, die vor dem S-Bahnhof Plänterwald sich trafen und die ich, da meine Oma dort wohnte, von Anfang an kannte (Frühfaszination?), da war die NDW, die einen älteren Freund voll erwischte, der plötzlich in Torgelow (!- falls ihr wißt, wo das ist...) mit Glatze herumlief und mir all die abgedrehten Namen diktierte, die ich mir auf die Papphülle meines Rechenschiebers malte: Einstürzende Neubauten, Fehlfarben, DAF usw...., eigentlich war hier fast schon poetisches Wort-Interesse am Wirken, kannte ich doch kaum die Sounds dahinter, ein Spüren der (Selbst)Wert(gefühl) steigernden Wirkung der Andersartigkeit (Anders-Art-Ich!). Etwas später war dann da „Beatstreet“ im Kino, ich nun in Frankfurt/Oder, mit ein paar Kumpels, Recorder und weißen Handschuhen unterwegs, auf den gar nicht so coolen Straßen jener Stadt als Breakdance-Alien Erscheinung zu sein (leider tanzte man nur einen Sommer, denn aus Berlin wurden schnell die nächsten Moden durchgestellt). All das trifft man auch im Buch: die damals, Anfang der 80er, arg drangsalierten Plänterwald-Cliquen..., überhaupt die staatlichen Anti-Punk-Aktionen zuhauf, bis ins letzte provinzielle Eckchen wird roughes Punk-Schicksal ausgebreitet zwischen mundgestrickten Mythen und hartem grau-grauem Realismus, je nach Geschick des Erzählenden spannend bis eintönig gehalten; und dann auch die Hip Hop-Entwicklung, aus der ich sprang, die dann in die Spätachtziger Festivals in Radebeul mündete- sehr interessant auch unter technischen Aspekten, schließlich wurde hier per Recorder und Bandmaschine gedeejayt, abenteuerliche Alternativlösungen für im Westen ganz normales Equipment er- bzw. gefunden (Mikrotaster als Unterbrecher anstelle von Crossfaderarbeit zum Beispiel...). Überhaupt trifft man hier fast alles wieder, der Rundumschlag ist den Autoren gelungen, auch wenn die Niveauschwankungen unüberlesbar sind, aber auch das hat seine notwendige Evidenz, eben auch im Aufweisen des Spektrums von Punk aller Coleur- vom Schmuddel-Rock´n´Roll über offensiven Polit-Hardcore bis zur sophisticated Art-Core-Nähe-, über Wave verschiedenster Schattierungen, Kunst-Aktionismus (mit und ohne Punk-Beiwerk-Beigeschmack) von A.R.Penck-Free Jazz über Thom di Roes´ Radikal-Wort&Krach-Kunst bis zu den oft industrialesk besoundeten Autoperforationsartisten, Freeblues, Staatsnähe-Rock mit versuchter Underground-Nähe, Elektronikansätze a la A.G.Geige bis hin zu Ska-Verwandtem wie bei Messer Banzani oder den damals von mir so geliebten anderen (die Band gleichen Namens ist gemeint...). Andeutungen nur: alles in- und nebeneinander, wechselwirkend und voneinander abhebend, Grenzziehungen durch das kleine Feld DDR-Underground waren natürlich Parzellierungs-Alltag, waren real wie eben auch eher darauf verweisend, dass vieles in einem Zwischenfeld existierte, stilistisch wie vor allem strukturell. So auch das Selbst: für mich gab es beispielsweise die Frage nach dem Instrumentalisieren und in ihrer Schärfe abtötenden Funktion der „anderen Bands“ nicht, auch, weil ich halt nie real mit der „wirklich“ anderen Seite, den politisch aufgeladenen Punkgigs in Kirchen usw., in Berührung kam, denn zu meinen Zeiten gab es- zumindest in Berlin, wohin jedes Wochenende das Persönlichkeits-Pendel ausschlug (Sandow lassen grüßen...), plötzlich überall Konzerte, in die man sich mit unglaublicher Energie drängelte. Insofern funktionierte diese Strategie, so es eine war, vielleicht sogar, wie groß war jedenfalls meine Überraschung, als ich einmal in der Warteschlange zum Knaakclub auf den legendären Thüringer Ur-Punk Otze stieß (wie ich erst später herausfand), der mit uns ins angesoffene Gespräch kam, wild über die von mir wegen ihrer pogotreibenden Hochgeschwindigkeitsmelodien schwer verehrten Skeptiker ablästerte als „FDJ-Punks“ et cetera, die schließlich sogar noch einen Titel seiner Band Schleimkeim geklaut hätten („1933“), und auf ihre Art radikale „Haut-die-Bulle-platt-wie-Stullen“-Texte deklamierte (inneres Kopfschütteln war die Reaktion - Angstreaktion? Konsequenzangst?). Die andere Seite hatte immer noch eine andere Seite, eine noch andere. Und schließlich wieder eine noch anders andere...z.B die Stasi-Seite, mittendrin (der Fall Anderson spielt natürlich wieder seine Rolle, längst aber nicht singulär, höchstens in der Dimension). Trennschärfe war mir jedenfalls nie eine Größe, ich nahm alles mit, rückblickend erstaunt man fast über die Bandbreite, auch über die vergleichsweise komische Entwicklung vom klassischen Indie-Hörer (Berlin Independent Charts auf RIAS als Initialsound) und der großen Idee Wave-POP, zu der man tanzte, hin zu einer sich ausbreitenden Punkigkeit, die wohl teilweise durch die persönliche Politisierung erklärbar wird. Der Sound zur Zeit halt, abgesehen von der Tatsache, dass ich die damit verbundene Energieausschüttung auch heute noch zu schätzen weiß, wenn auch wahrscheinlich mit anderen Qualitätsansprüchen. Man nahm die Dinge als gegeben, die Radiolandschaft war relativ vital geworden- wie wohl man auch dies als Staats-Strategie diffamieren kann- und, so unbefriedigend diese auch waren, es kamen gar Platten. Die Drangsalierungen waren zwar genauso gegeben, fast willkommenes Echo (all die blöden Ausweiskontrollen, die endlosen Diskussionen über letztlich Fashionelemente, hinter denen- nicht ganz zu Unrecht- subversiver Gehalt vermutet wurde), dass man am Rande balancierte, nahm ich so kaum wahr (wiewohl dies meine Mutter tat)... Auf jeden Fall hatte ich dann auch nur Glück, dass die Sache für mich rechtzeitig zum Ende hin zerbröckelte, bevor die Probleme ernsthaft und unausweichlich zu endgültigen Lebensfragen reiften- schließlich war ich erst 20, als das System implodierte-, Glück auch, dass ich an harten, meint physischen Konfrontationen mit der Staatsmacht vorbei kam. Soweit dazu (zur -fast- nicht ausgebreiteten Biografie).
Welchen Wert „Wir wollen immer artig sein...“ für unbedarfte Leser haben kann, ist der eigenen Konstitution, des mentalen Knochengerüsts wegen schwer zu sagen, das letztlich offen desinteressierte und oberflächliche Abhandeln im Spex sagt einiges, wenn auch nichts Unerwartetes. Was all die mehr oder weniger tief gehenden Strukturanalysen, angerissenen Medienfragen, Nischenökonomiehinweise, auseinanderfallenden Politikverständnisse, das Theoretische gar...; jene Distanzbetrachtungen und authentisch rückversicherten Rückblenden, der oft genug bemühte O-Ton (viele Interviews) und schließlich die oppulente Diskographie letztlich aussagen über jenes „Sicher gab es bessere Zeiten, aber diese war die unsere...“ hinaus, kann und sollte jeder für sich abchecken, wobei man sich bitte nicht von dem Cover abschrecken lassen sollte. Ein (mindestens ein) Sampler zur Sache tut auf jeden Fall not, schließlich geht es hier um Musik, Musik, die viele nie die Chance hatten, zu hören und die oft genug nie die Chance hatte, außerhalb eng gesetzter Grenzen je gehört zu werden. Ich werde mich jedenfalls mal hinsetzen und meine alten Tapes rauskramen, die zugeschickten Originale, Mitschnitte und Nachkäufe auf Noch-Hörbarkeit testen, die Vergangenheit für mich aktualisieren, eventuell historisch verfolgbare Soundfluchtlinien entwerfen: von Rosa Extra-Punk über Ornament&Verbrechen-Variablen und -Sideproject-Vielfalt zu Tarwater und To Rococo Rot, von A.G.Geige-Elektronik zu Raster-Noton- Minimalismus, von Messer Banzani- Früh-Rumpelska zu selbst in Jamaica funktionierenden Dancehall-Riddims auf dem Gentleman-Album oder gar von Feeling B und Die Firma zu Rammstein.
Und schließlich, ganz banal: diese Zeit war die meine!

P.S.: Ich wünschte, es gäbe ähnliche Bücher auch irgendbald mal zu den anderen osteuropäischen Szenen ...!

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