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Immersed in Crowleys Uniform
Noten zu Crowley und Pop von Ronald Lippok
Feat.: Anger, Bowie, ELO, G.P.O., Spare, Coil, Bond, Page and others

Ronald Lippok
„Manchmal sah er aus wie ein siebzigjähriger Greis, dann wieder schien er gerad wie fünfundzwanzig. Er scheint sein Aussehen willkürlich ändern zu können. Eben erscheint er einem als alter Priester und im nächsten Moment als offensichtlich effimierter junger Mann mit weichen, plumpen Händen und einem schweren Gesicht mit fraulichen Zügen. Nur seine sehr schönen Hände verändern sich nie.“
Ein Zeitgenosse über Edward Aleister Crowley

Die englische Band „5.30“ begann kein Konzert ohne „Die“ Tür. In Interviews wurden sie nie müde, zu erklären, warum diese Tür auf der Bühne herumstand und was sie für ihr musikalisches und spirituelles Fortkommen bedeutete. Selbst auf eine Amerikatournee wurde dieser seltsame Talisman mitgeschleppt, um dort von einem ignoranten Zöllner in seine Einzelteile zerlegt zu werden. Womit hatte sich dieser sperrige Gegenstand diese, zweifellos mit einigen Opfern verbundene Verehrung durch eine Rockband verdient?
Aleister Crowley war durch sie hindurchgegangen, jener glatzköpfige Mann, der auf dem Cover des „Sgt. Pepper“- Albums der Beatles in der linken oberen Ecke zwischen „Seinesgleichen“ steht, wie ein übereifriger fundamentalistischer Autor formulierte, womit er Marilyn Monroe, Laurel & Hardy und Albert Einstein gewissermaßen in den fragwürdigen Adel von Magiern des linken Pfades erhoben hat (Das Cover stammt von Peter Balke, einem berühmten englischen Pop Art- Künstler, der später Ian Dury unterrichtete und ihm dazu riet, Rock & Roll zu spielen).
Edward Aleister Crowley wurde als Sohn eines Bierbrauers (Crowley Biere) geboren, was der Grund dafür sein mag, warum der alkoholischen Erfrischungen durchaus zugetane Magus (seinen Forschungen zufolge erleichtere Alkohol den Zugang zu den astralen Königreichen) zeitlebens kein Bier anrührte. Seien Eltern gehörten einer fanatischen christlichen Sekte an (seine Mutter bezeichnete er als: „eine hirnlose Frömmlerin der engstirnigsten, zwanghaftesten und unmenschlichsten Art). Klein- Crowley, der seinen Vater auf dessen Predigttourneen übers Land begleitete, begann schon sich schon bald mit dem großen Biest aus der Apokalypse des Johannes zu identifizieren, einem von der spätantiken Gnosis beeinflußten, ebenso farbenprächtigen wie düsterem Text, von dem einige moderne Theologen meinen, er hätte in der Bibel eigentlich nichts zu suchen. Crowleys Mutter hielt ihren renitenten Sohn ohnehin für den mit der Zahl 666 gekennzeichneten Antichristen, und so wurde „Mega Therion“ (griechisch für das große Tier) einer seiner zahlreichen Synonyme und Ehrennamen. Ein anderer war Bruder „Perdurabo“ („Der, der durchhalten wird“), ein Name, den er bei seiner Wiedergeburt in den hermetischen Orden des „Golden Dawn“ annahm. Der „Golden Dawn“ war eine Geheimgesellschaft, die aus der im viktorianischen England florierenden Theosophie und aus der Freimaurerei hervorgegangen war. Die Theosophie ging von der Existenz „geheimer Oberer“ aus, im Verborgenen arbeitende Agenten höherer Mächte, die nicht nur die Geschicke esoterischer Zirkel, sondern auch das der ganzen Menschheit lenkten (Robert Anton Wilson und Robert Shea haben das Thema in ihrer „Illuminaten“- Trilogie karikiert und mit Lovecraft und Crowley gewürzt).
Die Suche nach den „geheimen Oberen“ wurde im folgenden zu einer regelrechten Manie. Das hatte einen einfachen Grund. War erst einmal die Kontaktaufnahme geglückt, so fühlte man sich zur Installierung einer Loge ermächtigt, ohne dafür die Erlaubnis einer freimaurerischen Mutterloge einholen zu müssen. So blühten die Winkellogen allenthalben und auch Crowley fand seinen „Oberen“ und wurde zu dessen Propheten.
Der „Golden Dawn“ war der große „Synthesizer“ der magischen Subkultur im zerfallenden Empire. Theosophie (östliche Traditionen, z.B. Yoga), Freimaurerei (Gradsystem, das ägyptische Pantheon des Memphis Ritus) und magische Überlieferungen (Kabbala und Tarot) wurden zu einem einheitlichen, in sich durchaus folgerichtigen und äußerst komplexen System zusammengefaßt. Jeder Inizierte bemühte sich, die streng hierarchisch geordneten Ordensgrade zu erklimmen, die wie ein „Starway To Heaven“ konstruiert waren, wobei zu jedem Level Paßwörter, magische Instrumente und Bilder, bestimmte Exerzitien und Gewänder gehörten. Das Verkleiden und Annehmen anderer Identitäten war ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Etwa hundert Jahre später wird David Bowie „I´m closer to the golden Dawn immersed in Crowleys uniform“ singen (Quicksand).
Crowley durchlief diese Grade in einem rasanten Tempo, sehr zum Mißfallen älterer Oredensmitglieder mit älteren Rechten, zu denen auch der irische spätere Nobelpreisträger W.B.Yeats gehörte. Der ehrgeizige junge Magier war seinerseits durchaus nicht gewillt, sich dem von Standesdünkel geprägten Ordenskorsett zu unterwerfen. Maßvolles Voranschreiten war noch nie „seine Tasse Tee“. Der sich um Crowley entspinnende Skandal ließ den „Golden Dawn“ implodieren und das Tier begann seine eigene Karriere als unermüdlicher Gründer von Winkellogen und Prophet des neuen Zeitalters.
Hier es vielleicht geboten, eine kleine Rast einzulegen, um zu erwähnen, daß man Crowleys Leben auch aus der Perspektive des erfolgreichen Bergsteigers, Weltreisenden, Poeten oder Dandys beschreiben könnte. Seine magische Karriere hat jedoch zweifelsohne den größeren Einfluß auf Musiker gehabt, wen auch auf sehr unterschiedliche Weise, wie wir noch sehen werden.
In Kairo wurde Crowley, nachdem er mit seiner Geliebten eine Nacht in der Cheopspyramid verbracht hatte (wie vor ihm schon Napoleon auf seinem Ägyptenfeldzug), von einem Wesen namens Aiwass kontaktiert, daß aus einer Zimmerecke zu seiner als Medium fungierenden Freundin sprach. Im Folgenden wurde Crowley, der sich in Ägypten als Fürst Chiao Khan ausgab und in Begleitung von zwei Herolden durch die Stadt fuhr, das Gestz des kommenden Zeitalters oder Äons diktiert: das „Book of the Law“, die Bibel der Crowleyanity. Es enthält das berühmt- berüchtigte „Do what thou willst“. Diese Motto entstammt dem dichterischen Werk des Renaissanceschriftstellers Francois Reblais, wo es den Eingang zu einem freizügigen Kloster schmückt.
Später gründete Crowley sein eigenes Thelema in dem italienischen Fischerdorf Cefalú auf Sizilien. Bis er von Mussolini des Landes verwiesen wurde bot er seinen Schülern dort Ausschweifungen und Unterricht in esoterischen Praktiken, ohne zwischen beiden allzu scharf zu unterscheiden, frei nach seinem Wahlspruch: „Wo Crowley ist, gibt es keine Langeweile“.
Das „Tu was du willst“ durchaus als Aufruf zum Frei- Sein zu verstehen, in der Tradition der negativen, dunklen Aufklärung der linken Hand, in der auch die Libertinage eines De Sade steht. Das Finden und Befolgen des eigenen Willens ist ein quasi religiöses Gut in den Crowley beeinflußten Kreisen. Der amerikanische Filmemacher Keneth Anger äußerte einmal, die Lektüre Crowleys hätte ihn ermutigt, seine Homosexualität zu leben. Keneth Anger verdanken wir auch Mick Jaggers einzigen elektronischen Opus, die etwa zehnminütige, auf einem Moog gespielte Musik zu Angers „Invocation of my Brother“, einem Film mit crowleyhaften Ritualszenen und irritierenden Cut up- artigen Sequenzen. Eine schroffe und überraschend unhippieeske Arbeit von Jagger, die den vorbeiziehenden Bildern etwas äußerst Beklemmendes verleiht. Das der ebenfalls stark von Crowley beeinflußte Film „Lucifer Rising“ ursprünglich vom Electric Light Orchestra der „Eldorado“-Phase mit Musik unterlegt wurde (angeblich gab es eine Aufführung in einem Londoner Kino), ist eine Information, die ich bisher leider nicht überprüfen konnte.
Crowley sah sich weniger als Messias (im Sinne eines Christus), eher schon als Prophet nach dem Vorbild Mohammeds, wobei Mekka in Crowleys magischem Koordinatensystem mit seinem schottischen Wohnsitz in Boleskin in eines fiel. Jimmy Page, der Sänger von Led Zeppelin, erwarb das Haus am Loch Ness mit der Absicht, dort ein Museum zu Ehren des Meisters zu errichten. Inzwischen hat er das Zauberhaus wieder verkauft.
Die Hippies, die mittels Hoffmans „Heidelberger Blitze“ hellsichtig geworden waren, entdeckten Crowley als den Propheten des „Dawning of the Age of Aquarius (war er nicht der exemplarische Outsider, als den Wilson ihn beschrieb?). Ed Sanders schreibt dazu: „Crowley nahm Peyotel, ein Rauschgift, sechzig Jahre, bevor die Beatniks diesen Stoff in North Beach schluckten.“ Wenn Leary der Drogenpapst war, dann war Crowley sicherlich der Drogengott. Durch sein Asthma war er schon früh in den Kontakt mit dem damals noch legalen Heroin geraten, wobei er Dosen zu sich nahm, die jeden Normalsterblichen umgebracht hätten. Auch seine Vorliebe für östliche Religionen, freien Sex und Verkleidungen machten Crowley für diese Generation attraktiv. Schließlich gab es auch die Blumenkinder des Bösen, wenn dieses abgeschmackte, aber zutreffende Wortspiel hier einmal erlaubt ist. Nazisymbole und Magie finden sich bei Anger ebenso wie bei Black Sabbath, die mit satanischen Images herumspielten.. In Ozzy Osbournes „Mr.Crowley“ distanziert sich der Sänger später von dem großen Biest. Black Sabbaths zelebrierten ein provokantes Rock- Ritual, wie wir es heute bei Marilyn Manson finden, der sich ebenfalls auf Crowley beruft. Im Notfall kann man sich auf den Unterhaltungswert de Teufels herausreden: „It´s only Rock´n´Roll“.
Anderen Künstlern war es ernster.
Graham Bond, einer der einflußreichsten Musiker der Avantgarde- und Jazzrock-Szene im London der sechziger Jahre und Weggefährte Alexis Corners, hielt sich für einen unehelichen Sohn des Meisters und versuchte vor allem in seinem späten Werk das Erbe des großen Tiervaters in Ehren zu halten. In „Aum“ (We put our magic on you) z.B. werden über einer düster-soulig fließenden Freejazzstruktur Crowleys magische Phrasen (die z.T. Golden Dawn Exerzitien enstammen) von Bond gesungen und von einem mehrköpfigen Frauenchor beantwortet und repetiert. In einem Interview mit dem NME gibt Bonds Lebensgefährtin Dian Steward zu Protokoll, das Studio wäre bei einem der in ihm von Graham Bond und seiner Band durchgeführten Rituale in Flammen aufgegangen. Graham Bond starb am 8.Mai 1974 im Londoner Finsbury Park, wo er von einer Untergrundbahn überfahren wurde.
„Holy Magick“. Auch Genesis P.Orridge pflegte magie in Crowley- Manier zu buchstabieren.
Genesis P.Orridge ist die schillerndste und zwiespältigste Figur der Industrial-Ära, die sich zum Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre zu formieren begann. Eine ganze Reihe von Gruppen und Künstlern (SPK, Z´ev, Throbbing Gristle...) warteten damals mit ungewöhnlichen Konzeptionen was die Performance, die Distribution und das Selbstverständnis von Musik betrifft auf. Strategie wurde wichtig und dazu gehörten Archive. G.P.O. gibt die Anzahl der in seiner Bibliothek befindlichen Bücher Crowleys mit Zweiundzwanzig an. Wir können das getrost als magische Zahl verstehen. Es zeigt jedoch die Wertschätzung an, die Crowley in dieser Szene besaß. Im Denken von G.P.O. nimmt das Thema der Kontrolle eine zentrale Stellung ein (das Thema hat auch einen anderen Gewährsmann der Industrial-Szene, William S.Burroughs, beschäftigt. Es findet seinen Niederschlag in dessen Cut up –Experimenten, die so eng mit Kombinatorik und Kabbala verwandt scheinen.) Hier kommt wieder das Spiel mit den Identitäten ins Spiel, das Crowley sein Leben lang pflegte, all die Verkleidungen und Namen. Wer sich definiert, macht sich der Kontrolle verfügbar. Das Hermetische, Quecksilbrige, Schemenhafte entzieht sich diesem Zugriff. Später gründete Orridge den Temple of Psychick Youth. In den Anfangstagen erschien der Temple als Karikatur jener Winkellogen und Rosenkreuzlerlegenden, von denen weiter oben die Rede war. Dann jedoch begann die ganze Sache ein etwas seltsames Eigenleben zu führen und wurde bald Gegenstand eines nicht ganz unberechtigten Spottes.
Die aus dem Umfeld von Throbbling Gristle und Psychick TV hervorgegangenen Coil scheinen eher von Crowleys mystischem drogeninduzierten Erfahrungen und seinem Talent im Installieren von magischen Gegenwelten inspiriert worden zu sein. Konsequenterweise berufen sie sich dann auch auf Austin Osman Spare, der eine Zeitlang ein Schüler von Crowley und Mitglied in dessen A.:A.: (Argentum Astrum) war, bevor er seinen eigenen Zos Kia- Kultus begründete. Während Crolwey einen auf den magischen Traditionen des Golden Dawn fußenden Weg spiritueller Erkenntnis pflegte, der eng mit zeremonieller Magie und dem Arbeiten im Kollektiv verbunden war, verfolgte Spare einen sehr viel individuelleren Weg, wenn gleich auch mit dem selben Ziel. Ohne umständliches Ritual sollte mittels einer Art von kontrolliertem Kontrolleverlust (das Paradoxon gehört auch hier wieder in den Bezirk des Magischen und seiner Methoden) Kontakt zu jenen von den Magiern aller Zeiten herbeigesehnten Kräften und Entitäten hergestellt werden. Spare war selbst ein begabter Künstler und nutzte wie Crowley selbst Zeichnen und Malen als Vehikel magischer Verrichtungen unterschiedlichster Art. Die Werke des „Antichristen“ selbst wurden erstmalig in den dreißiger Jahren in Berlin ausgestellt. 1998 wurde unter Mithilfe von Coil, also John Balance und Peter Christopherson, eine Auswahl seiner Werke in der Londoner October Gallery gezeigt. Im Unterschied zu Spare war Crowley kein begabter Zeichner, er verfügte jedoch über ein ausgeprägtes Farbgefühl, wobei er die klaren und strahlenden Farben benutzte, mit denen er im Golden Dawn seine magischen Waffen bemalte hatte. Seine Zeichnungen und Gemälde erinnern an die Arbeiten von Schizophrenikern, wie sie etwa von Prinzhorn und Navratil untersucht wurden. Sie stellen zweifellos die persönlichsten Dokumente dar, die wir von dieser seltsamen Person besitzen.
Auf Crowley mag zutreffen, was C.G.Jung mal über seinen Landsmann Paracelsus äußerte: „Man kann ihm nicht gerecht werden, man kann ihn nur über- oder unterschätzen“.

Literaturhinweise

John Symonds „Aleister Crowley. Das Tier 666“, Sphinx 1996
Peter-R. König „Das Oto-Phänomen“, Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen, München 1994
Colin Wilson „Das Okkulte“, Fourier Verlag, Wiesbaden
Austin Osman Spare „Gesammelte Werke“, Edition Ananael, Wien 1990
Aleister Crowley „The Strategem“, Temple Press Limited, Brigthon 1990 (z.T. unveröffentlichte Kurzgeschichten)
Aleister Crowley „Magie mit/ohne Tränen.“ Briefe von Crowley an eine Schülerin, Kerseken-Canbaz-Verlag, Bergen 1993
Isreal Regardie „What You Should Know About The Golden Dawn“, Falcon Press, Phoenix/Arizona 1983

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