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Eraldo Bernocchi
Animals on the magic field of individuality

unbekannter Autor
Zurück in der Verdunklungsstufe dubwise.
Wir vollenden die magische Dreieecksfiguration, an deren Eckpunkten bereits Bill Laswell und Mick Harris als im Zonic- in Annäherungsversuchen nur, siehe #10- abgehandelte Figuren kauern bzw. aufrecht in die (schwer) zu deutende Düsternis ragen, und widmen uns dem in diesen projekthaften Zusammenhängen, und die meinen u.a.: Equations of Eternity, Somma, Charged...(nicht) zuletzt-, neuralgischen Winkelfunktionswert von Eraldo Bernocchi.

Wir trafen uns am Mittag nach zwei an einem Abend aufeinanderfolgenden Live-Auftritten des Charged-Projekts im Berliner Podewil, bei dem Bernocchi, live mehr an der Guitar sich verfrickelnd (ein nachzuvollziehendes Manko- für mich jedenfalls eines-, dass u.a. auch bei der letzten Kooperation mit Mick Harris, der CD „Total Station“, einige charakteristische Soundentsprechungen hat), Bill Laswell (stoisch gut) und Toshinoro Kondo (intensivsten Lebensgeist durch die elektrische Trompete hauch-stoßend) unterstützt wurden durch den phantastischen Drummer Hamid Darke aus Chicago, letztens u.a. mit Pharoah Sanders unterwegs und an jenem Abend etwas sehr durch die Strukturen eingeschränkt (mehr siehe unten zu diesem Aspekt Live-un-gestalt), und den wirklich großen Turntablelisten DJ Disk, Ex-Invisible Scratch Pickelz aus San Francisco und letztjährig für ein grandios infernalisches Album (PhonopsychographDISK „Ancient Termites“) verantwortlich,- die letzteren beiden lieferten sich übrigens ein beeindruckendes Improvisations-Duett, das wohl Vorgeschmack auch auf eventuell kommende Projekte beider geben könnte (nach DJ Disk-Auskunft jedenfalls)-, als Gesamteindruck souverän kontrolliert durch den Soundmann Oz Fritz. Ein Konzert, das wohl von extremen technischen- und vor allem organisatorischen- Schwierigkeiten begleitet war und sich sehr schwer entwickelte, anfangs eher von angerissenen Potentialen lebend, die sich in verquastem Electric Jazz Rock dubwise verloren, bis das Ganze sich schließlich fing und Energie in den Saal übertragen werden konnte, und man schließlich über den erhebenden Aspekt, all jene Menschen livehaftig zusammen auf der Bühne sehen zu können, hinaus wirklich ergreifenden Momente schichtete, ohne allerdings die zugegeben sehr hohen Erwartungen vollends erfüllen zu können. Womit allerdings in etwa der CD entsprochen wurde, die auch in schwer zu charakterisierender Weise hinter den verwöhnten Maßstäben etwas her soundet, zeitweise in hoher Annäherungsdichte bis zur Deckungsgleichheit, aber teils auch eben irgendwie unentschlossen, ein wenig bruckstückhaft collagiert, nicht wirklich rollend im Groove. Was vielleicht etwas mit der Arbeitsweise der gegenseitigen Materialbeschickung über Raum und Zeit hinweg- mehr siehe unten- zu tun hat, aber nur eben vielleicht, denn jene dominierte, wie zu erfahren war, bei dieser Produktion nicht so wie bei all den anderen Projekten, die hier ihre Rolle haben. Und natürlich auch ihre Vorgeschichte, eine sehr lange, die uns Bernocchi anfangs gleich selbst herleiten darf.

Tiefer Wurzelgrund:

„Ich startete mit Punk, ´77, und Metal, erfreute mich am Krachmachen. Nach drei Jahren etwa, Anfang der 80er, langweilte mich die Sache aber sehr, vor allem und zuerst das Konzept einer Band, dann das Konzept Song, denn ich paßte eigentlich auch nie wirklich in Bands, da ich ständig die Riffs änderte, ich spielte immer eher Themen als Stücke. Also fing ich mit den 80ern an, alleine Electronics zu machen, zu jenen Zeiten hatte ich eigentlich nichts an Geräten, zwei oder drei Maschinen vielleicht: Taperekorder, Delay, ein paar Gitarreneffekte, billige Drummachine. 1984/85 verbündete ich mich mit zwei anderen Typen (Paolo Bandera/ Luca Di Giorgio) und startete ein elektronisches Projekt namens Shiva Recoil (= Sigillum S ? Verwirrung in der Häufung der biographischen Daten.., d.A.), wir waren damit auch in den frühen 90ern in Deutschland auf Tour. Das war vor allem Industrial, ich meine wirklichen Industrial, nicht Nine Inch Nails oder sowas, sondern im Bereich dessen, was SPK, Throbbing Gristle, Psychic TV, Coil und all jene taten. Das Projekt geht auch nach wie vor weiter, weird experimental stuff- wir machen einfach, was wir gerade wollen...
Nach 8 Jahren langweilte mich das trotzdem- natürlich- , denn wenn man sich nicht ständig weiterenwickelt, bleibt man gefangen vom gleichen Vibe, das ist wohl gerade bei elektronischer Musik so. Wir wurden beispielsweise in Deutschland stets als Gothic Band gehandelt, was unserer Intention eigentlich entgegen steht, für mich ist das ein großes Geheimnis, wie es dazu kommen konnte, denn konzeptionell ging es bei uns immer eher um Information, Desinformation, Noninformation und Kommunikation... Musik war nur ein Teil, wir benutzten Visuals, Licht, Aktion, Performance. Es ist wirklich eigenartig, wir kriegen immer noch emails aus der Ecke und sind gerade eingeladen worden, in Leipzig auf einem großen Gothic Festival im Mai zu spielen und wir werden es wahrscheinlich sogar machen, einen Acoustic Set spielen mit viel Percussion, irgendwas, was die Leute kaum erwarten.
1992 traf ich auf meine Frau Petulia Mattioli und wir gründeten Verba Corridge Productions, was kein Label in dem Sinne ist, sondern eher ein Kulturprojekt, sie macht Visuals, ich den Sound. Aber mit Sachen wie diesen in Italien, das ist schon fast Selbstmord, man kann davon kaum leben, wenn man nicht DJ ist, Techno oder Drum´n´Bass macht, aber mit Experimentellem... da verkauft man höchsten 1500- 2000 Stück, damit kannst Du nichts anstellen. Also habe ich noch andere Dinge gemacht und einige Jahre für eine Firma Touren in den fernen Osten organisiert, wo ich auch eine Weile gelebt habe. 1992 war klar für mich, dass wir uns verbünden müssen mit Leuten, die das Konzept hinter unseren Unternehmungen verstehen würden- und die Person, mit der ich am liebsten in Kontakt getreten wäre, war halt Bill. Ich schickte ihm eine Menge Platten und Verschriftliches zum Background und nach einer Woche kam eine Antwort, er wäre interessiert, also: let´s start something together. Das erste, was wir nun taten, das waren Bill, ich und sieben tibetische Mönche, das nannte sich Somma, wir präsentierten das sogar in der zweitgrößten italienischen Oper, dem Teatro Regio in Turin, als Multimediaereignis, es war phantastisch, die Mönche improvisierten über das, was wir da taten an Drums und Bass, mit Instrumenten und Vocals.
Ich bin nunmehr nur noch an Projekten interessiert, nicht mehr an Bands, ich hasse Bands..., auch, weil ich viele von ihnen produziere, denn wenn man anfängt, etwas mit großen Namen zu machen- Bill Laswell- dann horchen alle auf, auch wenn es Jahre über niemanden interessierte, was man tat. Jetzt mache ich eine Menge Mixe und Produktionen, und ich bin glücklich, nunmehr recht gut leben zu können mit der Musik, die ich mache, und ich mache fast nur, was ich auch mag, es sei denn, es gibt sehr viel Geld für einen Mix, aber dann sage ich es auch geradewegs, dass es hier ums Geld ging. Projekte und Konzepte, das interessiert mich. Dieses Projekt (Charged,A.P.) nun kam zustande, weil ich schon immer Kondo´s Art zu spielen bewunderte, schon seit der IMA-Band, das war seine erste Gruppe, die waren riesig in Japan, füllten Stadien mit 20- 30.000 Leuten. Diese Energie, die er hat und ausstrahlt, die kannst Du genauso gut in Teenager-Hardcore Bands finden, aber er ist 51, das ist einfach unglaublich... Also fragte ich Bill nach den Kontakten, sie spielten beide in den 80ern schon viel zusammen, er vermittelte mich, wir trafen uns, mochten uns und wir fingen an, gemeinsam zu arbeiten. Schließlich brauchte es dann auch drei Jahre, bis die Platte fertig war, sowohl er als auch ich waren noch in diversen anderen Sachen involviert, die Zeit in Anspruch nahmen. Aber wir mögen die Platte beide sehr... that´s it. Ich kontakte Leute und mache Projekte. So auch mit Mick Harris. Ich war immer ein großer Napalm Death- und später auch Scorn-Fan (Bernocchi spielte schließlich gar als Gitarrist auf der letzten europäischen Scorn-Tour, d.A.). Bill empfahl mir schließlich, mich an ihn zu wenden, denn es könnte eine interessante Kombination werden, ich tat dies und bereits nach einem Monat fingen wir an, gemeinsam zu produzieren. Für mich ist Mick eine der größten Persönlichkeiten, die ich je traf, wahrscheinlich sogar der ehrlichste Mensch, den ich je in diesem Business kennenlernte. Total gerade heraus, manchmal zu sehr, deswegen hat er auch so viele Probleme in der Musikindustrie, denn das ist ein Scheißbusiness, letztlich natürlich ein Geschäft wie alle anderen auch. Die Promoter, die Venues... einfach ein Haufen Diebe oftmals. Du mußt da seeehr vorsichtig sein.“

Mich interessiert sehr die Arbeitsweise bei diesen Projekten, bei diesem wie auch bei Equations of Eternity, denn ihr schickt Euch die Sachen ja in Teilen zu und setzt sie zusammen. Ist das nicht wie eine Band mit sehr viel Verzögerung dazwischen, denn da ist ein Weg und Zeit, die Beiträge einzeln anzuhören, wirken zu lassen und dann darauf zu reagieren? Oder ist da andererseits nicht auch die Gefahr einer Isolation dabei?

„Das hängt natürlich vom jeweiligen Projekt ab. Equestions of Eternity startete unter meiner Verantwortung, ich wollte weiter forschen, musikalisch wie inhaltlich, weiter auf dem magischen Feld der Individualität. Ich initiierte das und lud die beiden zur Zusammenarbeit ein, aber es lag in meiner Verantwortung, ich setzte die Teile zum Endprodukt zusammen...“

Es ist also letztlich dein Projekt? Das überrascht mich in dieser Weise etwas, denn in der Öffentlichkeit wurde es doch eher als konzeptioneller Zusammenschluß dreier Individuen betrachtet.

„Das ist auch okay so, aber ich kontrolliere die Sache... Ich baue üblicherweise Loops, Beats, was auch immer mir für Tracks einfällt, sende das zu Bill und Mick und die schicken dann ihre Beiträge zurück, d.h. Bill z.B. improvisiert über die Loops seine Basslines, dann habe ich halt 30 verschiedene davon, zerschneide und bearbeite diese und setze sie mit den anderen Sachen zusammen. Die Sensation dabei ist halt, das es klingt, als würde wir wirklich zusammen spielen. Wir kommunizieren halt sehr gut, auch ohne an einem Ort zu weilen... vor allem mögen und verstehen wir uns.“

Auf den Einwand, das dies doch etwas sehr eingeschränkt sei, organisiert letztlich durch ihn, eine Jamsituation dabei kaum entstehe, eine Zusammenarbeit in time also nicht möglich sei, was natürlich auch eine eventuell zerbröckelnde Frage ist im Fortschreiten der Kommunizierbarkeit bei ansteigender Datenübertragungsdichte per Netz und z.B. Free Jazz Sessions imaginiert, bei denen die Musiker über die Welt verteilt am Bildschirm kleben (was bestimmt möglich, aber wohl kaum und nie das Gleiche wäre), gibt es Zustimmung, zumindest was E.o.E. angeht, denn:

„Bei Charged ist das was anderes. Als ich mit Kondo anfing, trafen wir uns sehr oft, wir arbeiteten sehr lange zusammen, ich war über einen Monat in Amsterdam, wo er wohnt, er kam nach Italien. Wir improvisierten sehr viel und sortierten dann aus, welche Parts wir davon weiter nutzen wollen. Dann schickte ich die Sachen zu Bill und er machte Basslines dazu. Auf der Bühne sieht das natürlich anders aus und im nächsten Jahr wird sich die Sache noch sehr viel mehr ändern, wir wollen noch mehr Percussion und vor allem Live Electronics. Denn jetzt sind die Themen da, die Beats... aber wenn du Backingtracks benutzt, dann kannst du die Sache nicht wirklich gehen lassen, du kannst nicht loslassen. Diesmal wollte ich Gitarre live spielen, aber wir brauchen unbedingt Live Electronics, denn sonst ist es zu...“

Kontrolliert!

„Exakt. Denn du bist im Rahmen, du mußt das ständig checken, dann geht der Backingtrack zuende, du hast lange Pausen usw..., es ist hart, das timing zu halten. Das ist auch für die Stimmung, für die Energie nicht gut. Das Problem ist einfach, jemanden zu finden, der das auch wirklich gut macht.“

Mick Harris vielleicht.... Der versprach mir schließlich bereits vor über einem Jahr auch Equations of Eternity live.

„Hmmm. Schwierig. Das ist dann bestimmt auch nicht billig... schließlich muß man bedenken, dass Bill ziemlich teuer ist, ich werde auch immer teurer, Mick schließlich auch, d.h. man muß letztlich Festivals finden, die sowas bezahlen können.“

Die sehr sehr sehr kostbare Zeit...

„Ja! Schließlich haben wir auch eine Menge Alben produziert, selbst ich habe bis jetzt 41 Platten gemacht. Und irgendwann will ich auch Geld dafür, denn es ist eine Menge Arbeit. Und leben muß ich auch! Aber ich würde Equations of Eternity live unheimlich gerne machen! Man muß jedoch die richtigen Orte dafür finden und das richtige Publikum auch, das kannst du nicht vor einem Jazzpublikum machen...“

Betrachtet man die Produkte, besonders jene von Equations of Eternity, die da selbst bei Wordsound zum dunkelsten Sound gehört- übrigens fand auch Bernocchi nur lobende Worte zum Label, zu Skiz Fernando und seiner übervorbildlich fairen Art, mit den Künstlern und deren Arbeiten umzugehen, was nicht zuletzt auch die pünktliche und exakte Bezahlung einschließt... die positivsten Crooks der Szene anscheinend- so findet sich, und das paßt nicht zuletzt hervorragend in dieses Heft, neben Assoziationsfreigaben wie Zecken oder überquellenden Medikamentenschränken auch ein Allerlei an divers verstörendem Spiritualismus, in Symbolik wie Textlichkeit. Super in Kongruenz zu projektieren zum Sound, auch zum Labelsound- in aller düster eklektischen Wordsound-Buntheit. Das wirft Fragen ins Feld, so man sich solche noch stellen will und nicht alles als eine mögliche Form von konsumierbarer Beliebigkeit in zu wählender Geschmacksspezifik erkennt und reale Daseinsbezüge leugnet- letztlich konformistischer Fatalismus der übelsten Sorte, cool kapitulierender Kulturzynismus, leger natürlich daher schlendernd.
Fragen also. Erfreulicherweise Antworten auch:

„Ich interessiere mich genauso für Aleister Crowley wie für tibetische Magie oder Austin Osman Spare, ich bin an jeder Art System interessiert, das mich zu einem höheren Verständnis bringt, zu einem höheren Ort, von dem aus ich mein eigenes System entwickeln kann. Für mich das eine Art Forschen, das ich immer weiter treiben will, besonders die tibetische Seite. Das kann natürlich gefährlich sein, aber ich sehe das nicht als schwarze Magie oder so. Crowley ist nur ein Teil davon. Ich denke, wir müssen uns mit solchen Dingen auseinandersetzen, denn wir sind in einer christlichen Gesellschaft aufgewachsen und erzogen worden. Meiner Meinung nach sind aber alle Formen von gesellschaftlicher Organisation Bullshit. Egal ob Religion, Politik, Syndikate... Sobald du Menschen versuchst zu organisieren, kommt nichts als Mist dabei heraus. Das gilt für die spirituelle Seite genauso. Ich mache die drei monotheistischen Religionen- hebräische, christliche und islamische- für die schrecklichsten Verbrechen verantwortlich. Religion meint Kontrolle. Glaube ist was ganz anderes. Jeder sollte seine eigene religiöse Verfassung finden, die korrespondiert mit dem, was man glaubt und fühlt. Daher ist Crowley für mich auch so interessant, denn er hat ein unglaubliches spirituelles System geschaffen, in dem er von Hinduismus, Tibet, Christentum, Islam, schwarzer Magie, Kabbala und allem Möglichen anderen Teile integriert. Austin Osman Spare trieb das dann noch weiter, obwohl dies dann noch weitaus gefährlicher sein kann. Natürlich nimmt man eine gewisses Risiko auf sich, wenn man mit solchen Dingen umgeht... Aber schau dir die tibetischen Mönche an. Tibetischer Buddhismus ist immer an der Grenze zur Magie, denn er wurzelt letztlich im Schamanismus, der dort weit vorher existierte. Als der Buddhismus nach Tibet kam, versuchte man, dies zu verdrängen, aber es kam schließlich zu einer Vermengung, bei der du immer nahe der Magie schwebst- verrückte Symbole, verrückte Rituale, der Glaube an die Macht der Steine , der Berge, all die Mantras und Skulpturen... Das ist, wie es sein sollte, ich glaube jedenfalls daran.“

Aber das zielt doch eigentlich wesentlich auf´s Individuum ab. Oft genug mündete dies aber genauso in die Gründung eines Ordens beispielsweise, ob nun bei Crowley oder später bei Genesis P.Orridge, und hier fängt die Organisiertheit wieder an und vor allem auch das Diktieren von Haltungen.

„Konzeptionell hat mich der Temple of Pychick Youth anfangs recht interessiert, bis ich herausfand, dass dies eine wiederum stark organisierte Form bekam. Da lag ein großer Widerspruch für mich: die Abkehr von organisierten Formen zu verkünden und zugleich eine zu gründen- das kann nicht funktionieren! Das Maß der Dinge ist das Individuum. Wenn ein paar Individuen zusammenfinden und etwas Interessantes machen, ist das eine große Sache. Aber ansonsten ist man doch eigentlich allein.“

Für mich liegt da aber schon ein Unterschied darin, ob eine Organisationsform sich durch individuellen Zusammenschluß relativ „natürlich“ gründet oder ob diese in der Form von Oben nach Unten durchgestellt wird. Letztlich ist das die Frage, wie sich menschliche Gesellschaft überhaupt entwickelt...

„Das kann sein... aber selbst modernste Gesellschaftsformen sind durch „natürliche Regeln“ eingegrenzt. Solange man an Hierarchien glaubt, ist das vor allem: Winner & Loser. Es ist Unsinn, zu glauben, dass wir alle gleich wären.“

Das hört sich aber etwas nach Sozial-Darwinismus an.

„Ja, und ich glaube auch, dass dies die Wahrheit ist. Es ist eine harte Wahrheit, aber es ist eine. Kann ein Beinloser rennen? Ich denke nicht. Aber ich kann es.“

Er kann nicht rennen, aber du könntest für ihn rennen, ihm helfen. Das wäre bereits eine Art soziale Organisation zwischen zwei Menschen.

„Das eine typisch menschliche Sache, zu denken, wir existierten in moralischen Grenzen. Alle versuchen, zu sagen, was und wie wir wären und was zu tun wäre. Aber: letztlich sind wir Tiere, Killer, Raubtiere! Deswegen sind wir hier, ich bin ein Raubtier, du bist eines. Wenn es notwendig werden sollte, wirst du töten! In Extremfällen wirst du es können. Das sollte man immer im Hinterkopf haben. Es ist eine Riesenlüge, den Leuten zu erzählen, wir wären alle gleich, alle eigentlich gut...all dieses Zeug.“

Aber es läuft doch eigentlich auf die Frage nach dem Umgang mit Schwächeren hinaus...

„Ich werde kaum einen Schwächeren töten. Aber ich weiß, ich könnte töten, sollte mir jemand ernsthafte Probleme machen... Ich denke, es gibt einen unbewußten Automatismus, der uns davor bewahrt und der es uns ermöglicht, in einer organisierten Gesellschaft zu leben. Aber sollte es notwendig werden, tun wir´s. Wir sind Tiere, vielleicht cleverere als die anderen, aber Tiere, organische Wesen aus Knochen und Fleisch. Wir sind aufgewachsen im Glauben, wir wären das oberste Lebewesen, wie es die Christen behaupten, die da meinen, wir wären die einzigen und es gäbe kein weiteres Leben dieser Art im Universum. Aber natürlich müssen sie das sagen, es gehört zum System.
Diese Diskussion ist jedoch endlos...“

Bei Equations of Eternity fand sich auf der ersten CD nun dieses Crowley-Symbol und zumindest Mick Harris wußte nicht soviel damit anzufangen. Ist es nicht unfair, solche Zusammenhänge zu setzen, die dann auch auf die Leute zurückfallen können?

„Mick ist vor allem an der Musik interessiert. Das Symbolische passiert eher zwischen mir und Bill, wie wohl wir natürlich auch an der Musik interessiert sind, jedoch das Spirituelle ist schon alleinig unsere Sache. Mick ist zwar nicht wirklich verängstigt, aber möchte damit nicht soviel zu tun haben. Aber schließlich geht das hier wohl auch okay, denn Equations of Eternity ist ja vor allem mein Projekt...“

Der Endlosigkeit der Diskussion gemäß drehte sich die Kommunikationsspirale noch mehrmals von Außen nach Innen und umgekehrt, um dann an einem Punkt zum Stillstand zu kommen, den man vielleicht als vorläufige Einigung bezeichnen könnte. Anscheinende Einigung auf die Anerkennung der Endlosigkeit, der es sich aber stets neu anzunähern gilt, stetes Hinterfragen, Nachhaken, Zweifeln (auch Ver-), Umwerten, Kopfstellen, Wenden, Gegenbürsten... Schließlich geht es hier um existentielle Grundentwürfe von gesellschaftlicher Verfaßtheit, das forschende Ausloten der Ur-Antriebe, die uns über den schwankenden Boden dieser (meine-kleine-) Welt-Bühne fegen lassen, im mehrfach deutbaren Sinne von Treiben und Getriebenwerden. Erklärungs- oder gar Handlungsmuster kann und soll es hier nicht geben, Anschlußhandlungen müssen vorausgesetzt werden, bei uns wie Euch (um mal etwas an appellativem Aspekt anzudeuten).
Das die starke Auseinandersetzung mit Spirituellem etwas mit Italien zu tun hat, babylonische Heimstatt des Katholizismus..., kann sein, wäre aber auch schnell und einfach konstruiert. Distanzfragen. Überdeutlichen Abstand setzt er jedenfalls auch zum dortigen musikalischen Geschehen, angedeutet wurde dies ja schon weiter oben, das hat dann auch etwas von der Verbitterung des einsamen Experimental-Akustikers in der heimischen Klangwüste, ungehört, unverstanden und nur über kooperative Reputationsumwege letztlich anerkannt. Da ist dann nur wenig, was Respekt von Bernocchi zugewiesen bekommt, die hierzulande bis dato wohl wahrscheinlich nur über einen (On-U Sound- gemixten) Track auf dem „Kingsize Dub Volume 2“ bekannten Almamegretta als Dub-Speersptze gehören dazu, aber mit denen hat er dann natürlich auch schon zusammengearbeitet. Abgesegnet also. Ansonsten geht fast sowas wie Hass an: „all diese Bands, die da versuchen, wie englische Acts zu klingen, wie englische Acts vor 10 Jahren, oder die da versuchen, englischen Drum`n´Bass nachzuahmen, oder Dub. Das meiste davon ist einfach nur traurig, wirklich traurige Musik. Und sie wollen dabei noch Rockstars sein! Verkaufen 5000 Stück und fragen nach dem Chauffeur zum Gig- das ist doch lächerlich!“

Auf den Einwand, das es ja teilweise auch Entwicklungsfragen seien, bei denen vieles seine Berechtigung als (durchaus auch mal retrovertierte) Übertragung und hoffentlich dann auch Umformung auf eigene Bewegungsfelder hin hat, wobei zwar bitte kein kopistischer Stillstand eintreten sollte, aber jeder Dinge für sich entdecken dürfen müßte, die bereits vorher existent waren, wird schon eingeräumt, dass auch die eigene Progression letztlich nicht ohne Rückgriffe zu machen war. Was in den 80ern da als experimentelle Transformation von Industrial entstand, in all der weiten Dimension, die dieses Begriffsvehikel erfassen kann, ließe sich, mehr oder weniger zwangsbezogen, immer auf Sachen rückleiten, die andere in den 70ern ähnlich machten oder in den 60ern gar (oder zurück bis Russolo, mindestens). Andere Zusammenhänge, ähnliche Sounds- oder: ähnliche Über- und Unterbauzusammenhänge und nur partielle Klangverwandtschaft, die dann als Partikel, fast wie ein verwandtes Gen, zum Abgleich herangezogen wird. So oder so, leider bin ich zu weit davon entfernt, ein Bild von der italienischen Szenerie zu haben, meine Ahnungen verheißen aber manchmal auch nichts Gutes... Aber was heißt das schon?! Italien war für mich jedenfalls auch immer exzessiver POP, in aller Glitzrigkeit, Übersüße, Suprakitschigkeit.
Interessanterweise merkte Bernocchi an, dass er vor allem mit der sogenannten „alternative music“ heutzutage sein Problem hat- sehr zurecht, wie auch wir meinen-, seine Einstellung zu Pop,- die Definition bleibt erstmal ungefragt-, sich aber zu einer Art Akzeptanz verschoben hat, innerhalb der gesetzten Grenzen, die man dort aber eben ganz klar auch aufweist. Die „Ehrlichkeit“ des Pop, der nur Pop meint, sich als Entertainment pur verkaufen will ..., dagegen steht dann nur, dass es ein ganz bezugsloses Dasein auch für den reinsten Pop nicht gibt. Verdammter Zwang zum Kontext, auch das eine endlose Diskussion, endlos im Sinne von immer weiter zu führen. Irgendwie paßt zu diesem Betrachtungswandel dann auch wunderbar, dass Eraldo Bernocchi nach 30 Jahren Mailand nunmehr vor kurzem in die Toscana „geflüchtet“ ist.
Die Toscana-Fraktion des Apocalyptic Dub?
Fragestellungskrieg endlos ...

Tonträger-An-Auswahl:

Somma
Equations of Eternity „S/T“
Equations of Eternity „Veve“ beide Wordsound
mit Mick Harris „Overload“
„Total Station“ beide Sub Rosa
Charged „ „ R&S

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