Versuche der Personalisierung einer Untergrundkultur (vollkommen illegitim, aber unvermeidlich, darin ganz klar).
Part 1: Am Anfang waren...
Deadlock und Kryzys.
Zwei der frühesten Punkbands Polens, ´77 / ´78 gegründet, also rechtzeitig, um noch authentisch erste Welle zu sein, auf der Gischt der ersten Punk-Internationale, kurz vorm Aufschlagen und Zerstieben, in ein Eigenleben dahin brausend, gen harte Bodenfühlung im krisengeplagten Polen der End-70er. Sicherlich Beton, wahrscheinlich Kellergrund, eventuell auch Garage (vielleicht aber auch ganz woanders). Unten jedenfalls mit den neuesten Vibes aus West, die es galt, umzudeuten und einzufügen. Deadlock hatten jene aufgefangen in Gdansk, als Polskas wichtigste Hafenstadt grundsätzlich immer gut für eine avante Stellung im Kulturgeschehen. Und natürlich nicht nur darin, wie man aus den Geschichtsbüchern weiß/wissen sollte. Gründungsstätte der Gewerkschaft Solidarnosc des äußerst schnurrbärtigen Elektrikers Walesa, der die Werft der Stadt in den entscheidenden Streik führte, gegen das real-sozialistische Babylon massenwirksam die katholisch-konservativ-nationale Waffe führend (und sei es der überdimensionale Papst-Kugelschreiber....). Allerdings, so mehrere kompetente Zeitzeugen mir gegenüber, waren Punk & Ausläufer sowie Solidarnosc im wesentlichen Parallelgeschehen, bei aller eventuell gemeinsamen Speisung aus dem Mythos des slawischen Widerstandsgeistes und gleicher Feinderkennung: der Staat in seiner grau-sozialistischen Ausprägung. Biggest enemy der Kids war dann wohl doch eher die (natürlich auch teils systemimmanente) Langeweile, und Solidarnosc mehr die Sache der Väter, aus der Sicht des jungen Punks also einer der alten Säcke, die liebend gerne den komisch verqueren Punk-Schnöseln ihre Ordnung eingebläut hätten. Dass es die Zeit über von Solidarnosc-Seiten Vereinnahmungsversuche gab, ist da trotzdem kein Widerspruch, solche wollen ja gelebt sein – und führten schließlich bis hin zum großen Solidarnosc- Antiapartheid- Reggae-Festival 1989 in den Hallen eben jener Gdansker Werft. Aber das ist eine weitere Nebengeschichte... .
Unser junger Held jedenfalls befand sich in Warszawa und formierte nach ein paar Zwischenbandstufen Kryzys, die über die beiderseitig spielende Dazwischenperson Maciek „Magura“ Goralski langsam mit den nach Warszawa herübersickernden Deadlocks zu einer Gruppe verschmolzen. Was die beiden Bands in undergroundhistorischer Hinsicht so besonders macht, sind aber nicht nur die musikalischen Aspekte- zu Punk als aggro-progressiver Grundlage und -haltung kamen bald Reggae- und Wave-Elemente, später bei Kryzys gar noch ein stark freijazzlicher Klangraum hinzu (der ihnen im 1981 von Rowohlt veröffentlichten „Eurorock“-Buch eine nicht unberechtigte Pop Group-Nähe einräumte)- sondern auch die Tatsache, dass sie 1981 als erste auf LP veröffentlicht wurden. & dies nicht in Polska, sondern in Frankreich! Ein Franko-Punk namens Marc Boulet arrangierte die Releases für Blitzkrieg Records, ein Barclay-Sublabel, als er in Polen weilte. Im Falle von Deadlocks „Ambicja“ gab es rohe, ungeschliffene Punk-Edelsteine zu hören, ganz im klassischen, gen UK orientierten Gewand, bedingt in ihrer Soundlichkeit allerdings durch die primitive Aufnahmetechnik: de facto ist die LP ein erweitertes Deadlock-Demo, erweitert eben auch um einige Kryzys-Mitglieder, so spielte Robert „Afa“ Brylewski die Guitar, da sich Deadlock-Gitarrist & -Hauptkompositeur Brunet der Sache verweigerte, ganz anarcho-aufrichtig anti-konservatorisch dem Live-haftigen verhaftet. Das legendäre Kryzys-Vinyl, betitelt mit „Solidarite avec le Rock Polonais“, ist mir hingegen bis dato weder zu Augen noch zu Ohren gekommen, genauso wenig wie die den Aufnahmen folgende 7“, auf deren B-Seite übrigens eine durch die chinesische (!) Band Dragon im entsprechenden Slang intonierte Version von „Anarchy in UK“ zu hören war (Sammlerwert, ick hör dir wachsen...! Soviel aber auch zu Exotismen der Wahrnehmung im Westen.). Als die Platten erschienen, hatten beide Bands jedoch ihren Existenz-Zenit bereits überschritten, Deadlock machten unter besagtem Brunet zwar noch bis 1983 weiter, köchelten aber auf immer kleinerer Flamme, und Kryzys waren zwar gefeierte Newcomer, auf jedem der New Wave-Festivals spielend, die seit 1980 aus dem Boden schossen nach dem „Builetyn“- Festival in Kolobrzeg, dem ersten der „Nowa Fala“ in Polen, aber auch sie sollte bald die erste Krise erreichen, wenn auch eine, die das Ganze und RMB auf das nächste Niveau anhob.
Im hochinzestösen Geflecht der Warszawa-Punkkreise waren die Bands sowieso kaum noch auseinander zu halten, wobei als dritter Part noch Tilt dazu gehörte. Ebenfalls erste Phalanx des Polski Punk, zeichneten diese sich durch scharf geschnittene Abbreviatur-Stakkato-Stücke und den allen drei gemeinen schweren Drang zu Reggaegrooves aus. Was Tilt und Deadlock verband, war zudem noch der Hang zu englischen Texten, forciert durch den Ex-Deadlocker Luter und Sänger wie Gitarrist Tomek Lipinski, die beide des Englisch mächtig, was sie auch zum internationalen Austausch nutzten, vor allem natürlich gen UK. Interessanterweise war bei Kryzys die Tendenz ganz umgekehrt, da wurden die ins Repertoire übernommenen Deadlock-Songs kurzerhand polonisiert. & radikal dubbifiziert, man höre, so man kann, die leider bis dato sträflicherweise nur tape-only existierende Compilation „Kryzys 78-81“ (erschienen 1994 auf Brylewski eigenem Label Gold Rock). Das grandiose Potential von Kryzys findet sich hier in allen Schattierungen, von wavigen, fast beathaften Song-Kleinoden mit zwingendem Melodiegefühl über punky Reggae, so eine herrrlich durchgeknallte „Get up, stand up“-Pogo-Version, die fast was von „Swell Maps spielen Reggae“ hat, bis hin zu angeschrägten Jazz-Dub-Eskapaden, die gleichberechtigt auf dem kürzlich von Echo Beach zielsicher in mein Leidenschaftszentrum gedroppten „Wild Dub- Dread meets Punkrocker downtown“-Sampler ihren Platz gehabt hätten. In einer sound-gerechten Welt... .
Part 2: Babylon upadl! / Fallen Fallen is Babylon!
Aus Kryzys wurden dann also in einer solchen recht kurzerhand, unter Hinzuziehung von Mitgliedern aller drei Bands, Brygada Kryzys. Eine Art frühe Supergroup des polnischen Underground, der nun so langsam auf oberen Ebenen ankam, den kurzen Frühling nutzend, der nach der Abdankung von KP-Generalsekretär Gierek in Polen anstand. Die Entstehungsgeschichte ist etwas widersprüchlich, glaubt man beispielsweise dem detailreichen Booklet der nach einem frühen Deadlock-Song benannten Compilation „Victim Of Safity Pin – Polski Punk Underground 1977-82“, zusammengestellt in jahrelanger Kleinarbeit vom kanadischen Polen-Punk-Fanatic Jason Flower und auf dessen Supreme Echo-Label erschienen, dann gab es einen Punkt, an dem klar war, Kryzys könnte als erste Band für das frisch gegründete Label Tonpress in dessen jungfräulichem „Kaw“-Studio Aufnahmen machen, woraufhin Robert Brylewski die Chance ergriffen hätte, sein Songrepertoire mit dem von Tomek Lipinski in ein gemeinsames Projekt zu gießen, dabei die andere Hälfte der Kryzys-Members über Bord gehen lassend. Nicht ohne den ruhmgesättigten Namen für sich zu reklamieren, um ein Brygada erweitert... . Aber wie dem auch sei, die gruppendynamischen und –psychologischen Abläufe wird man heute wohl kaum noch rekapitulieren können, es waren sowieso wilde Tage: Solidarnosc auf der kurzen Höhe der Macht mit Millionen von Mitgliedern, das Land von Demonstrationen und Streiks erschüttert, das System im Wanken. Die erste Aufnahme von BK erwies sich da als böse Vorausahnung. Kurz vor der Verhängung des Kriegszustands durch Jaruzelski am 13.12.1981 fanden sich die Krisen-Brigadiere in einem Belgrader Studio ein und nahmen jenen dann von Jugoton als 7“ veröffentlichten Song auf, der zur Hymne avancierte und mit dem sie später alle ihre Konzerte eröffnen würden: „Wojna!“ - „Krieg!“. Nach Belgrad waren sie durch Vermittlung der Cold Wave–Kultband Elektricni Orgazam gekommen, die zuvor in Polen getourt hatte, was u.a. kurz später ganz zeitgeistthema-bewußt mit ihrer EP „Live in Warsaw“ dokumentiert wurde. Während in Jugoslawien zunehmend Freigeist einzog (wiewohl die Wojna-Wolken sich für Titos Waisen langsam verdichteten, kurze Zeit später sollten Laibach dies ja mit empfindlichen Sensorien aufnehmen und brutal in Kunst überführen...- man blättere an diesem Punkt auch gerne mal im Heft zurück zum Disciplina Kicme-Artikel von Johannes Ullmaier: verwandte Welten in Parallelführung), kamen BK jedenfalls in ein militant umgestülptes Land zurück und fanden sich in der bizarren Situation ein, in dieser Zeit der Ausgangsperren, des Polizeiterrors und massiver Verfolgung aller Systemgegner (was sich aber, darin der DDR nicht unähnlich, zuerst nur auf die Solidarnosc, also die politische Ebene, nicht auf die jugendkulturell subversiv- ästhetische bezog) als offizielle Test-Band des staatlichen Tonpress-Labels mit unbegrenzter Bewegungsfreiheit und unlimitierter Studiozeit versehen zu sein. Punk-Privilegierte in Hard Times, die doch, frei nach Heiner Müller, so scheinbar ideal, da reibungsflächensatt und innendruckerzeugend, für grandiose Kunst. Es mag eine retrospektive Projektion meinerseits sein, aber man hört diesen 1982, kurz nach Ende des Kriegszustandes, als „black album“ erschienenen Aufnahmen das situative Gefüge irgendwie an. Klaustrophobische Psychosounds wechselwirken da mit unerbittlichen Reggae-Bassläufen und Kongarhythmik, von schneidenden Gitarren durchflogen zittern kalte Klanggebäude im dunkel vibrierenden Groove (man denke nur an den Warschauer Hauptbahnhof, der von BK in „Centralna“ besungen wird), durch die Landschaft toben Dubeffekte und eine Hardcore-Wut, die, wie der damals anscheinend stets bestens informierte Tomek Lipinski bekannte, schon um das bei Roir erschienene Tape der Bad Brains wußte. Für ein solches Wissen und ein Avisieren der Bewußtseinsebenen bzw. Gegnerschaften über ein politisch-konkretes Jetzt hinaus stehen in erhabener Beispielhaftigkeit gerade die letzten beiden Tracks: „Ganja“ und „Fallen Fallen is Babylon“. Der eine abgehangenster Smokers Dub, die Inhalation natürlich reinheitslehrenhaft in der Pfeife pflegend, und der andere eine wahnwitzige energetische Orgie, gipfelnd im glücklichen Inferno, in Feedbackgewittern und saxophonen Freejazzfetzen explodierend, in scheppernde Geräuschhaufen, ein Sausen und Brechen und Pfeifen fallend, als die Mauern endlich einstürzen. & der Zion Train fährt schnaufend im Centralna ein... .
Auch von BK erschien übrigens im Westen eine Platte, die ohne ihr Wissen rausgeschmuggelte Aufnahme des ersten Konzerts im neuen Line up nach den Kryzys-Split, dementsprechend ohne ihre Autorisierung erschienen – und eine faire Repräsentation ihres Könnens stellte das Bootleg bei allem Reiz auch nicht dar, nicht zuletzt war laut Brylewski der Soundtechniker aufgrund zu hohen Ganja-Konsums neben dem Mischpult eingeschlafen. Womit ein anderer Brylewski´scher Lebensfaktor seine Einführung gefunden hätte, einer, mittlerweile bedrohlich existentielle Grade erreicht hat: „...some call it herb, some call it marijuana & some call it ganja...“.
Nach dem bald darauf kommenden Ende von BK zog es RMB mit Teilen der Posse auf´s weite polonische Land. Kommunendasein in Frischluft- für die Atemzüge zwischen der Bewußtseinstransformierung- und damit eigentlich ganz gegen die moderne New Wave-Kälte, die aber eben in Polen nach 1981 mit einer für westliche Zeitgeist-Verarbeiter schlecht imaginierbaren Eiszeit politisch-geistiger Art kongruent fiel. Nix mit neonbeleuchtetem Untergangschic, schon gar nicht anpolitisierter 82er-Poppism als kluge Anti-Strategie, ja, und funky-brutale Reaganomics erst recht wohl nicht. Kalter Bürgerkrieg, minus 90 Grad.
Das notwendige Gegen-Feuer fand sich in der Formierung von Izrael. Adäquat dem Weg von The Ruts, die sich allerdings mit Hilfe vom Mad Professor gen Dub bewegten – checkt „Rhythm Collision Vol.1“, ihre 1981er Überplatte-, nahmen sich die Izraeliten nun vollends des Reggae an. Womit sie Teil einer konsequenten Entwicklung waren, die auch andere der ersten Punk-Generation erfaßte, von der aber auch zuvor schon so einige über Bob Marley hinausreichende Kenntnisse von Reggae hatten. So gründete der umtriebige Maciek Goralski nach dem Deadlock/Kryzys-Ende die später äußerst populären Bakszysz, aus den wilden Reggae-Ska-Absurd-Punks von Smierc Kliniczna, die von 1982 bis 84 das Geschehen bestimmten und zu den ersten nach Brygada Kryzys bei Tonpress veröffentlichten Bands gehörten, wurde später R.A.P. (Reggae Against Politics), die sich sogar in gekonntem Patois-Satzgesang präsentierten, und nicht zuletzt zählte zu den Izrael-Mitbegründern auch Pawel „Kelner“ Rozwadowski, vormals bei der Punkband Deuter (& heutzutage Brygada Kryzys-Manager).
1983 sah „Biada Biada Biada“ auf den Plattentellern und Izrael on tour durchs Land an der Seite von Misty in Roots, neben denen sie allerdings nach Augen/Ohrenzeugen nicht nur buchstäblich blass aussahen (sieht man in dieser einen Hinsicht mal von Vivian Quarcoo ab, Backgroundsängerin und Frau von RMB, einer ghanaisch-polnischen Mischschönheit...). Dem ersten, teils noch recht naiven Tonträger folgte zwei Jahre später in entschleunigter Rootsgelassenheit rollend „Nabij Faje“ und 1987 das in seinen minimalistisch-harten Riddims und dem Gesangsstil teils prädigitale Dancehall-Vibes transportierende „Duchowa Rewolucja“, von dem allerdings nur Teil 1 auf Vinyl erschien. Das bis 1989 ständig um einen Kern changierende Großkollektiv Izrael, das im oben schon beschriebenen Verschmelzungsprozess u.a Mitglieder von Kultura, einer anderen wichtigen Reggaeband, eingemeindete (& in all den Jahren über 100 Parttime-Members verbrauchte!), fand sich auf dieser Platte zusätzlich verstärkt um einige Seelenrevolutionäre, deren Militanz sich schon im Band-Namen offenbarte. Denn seit 1985, nachdem er im Jahr zuvor beim Jarocin-Festival dem überaus charismatischen Sänger der knüppelharten HC-Band Siekiera begegnet war, dem baumlangen Poeten-Punk Tomek „Bombadil“ Budzynski, spielte Brylewski in einer noch ganz anderen mystizistisch- religiösen Gotteskriegergruppe gegen Babylon an:
Armia!
Anti-Armia!
Niewiedzialna Armia!
Die unsichtbare, unschlagbare, unüberhörbare...-
das schwer bewaffnete Flaggschiff des polnischen Punk bis in den Anfang der 90er.
Zwischenblende 1: Es wird persönlich...
Spätestens hier muß von Fan-Tum die Rede sein. Dem meinigen. Von keiner anderen Band habe ich so viele T-Shirts im Schrank, keine andere hat den Vorrang, wenn es gilt, in einer neuen Wohnung würdigen Platz für Plakate zu finden, nur wenige können mich derart zu heimischem Luftgitarrenexzessen und Bedroompogo zwingen, von einigen nur sind mir die Texte so von Ton zu Ton vertraut. Ton zu Ton, wohlgemerkt (Onomatopoesie!). Der ganze irrationale wunderbare Wahn also. Armia begleiten mich durch die Audiobiographie, wie sonst vielleicht nur noch The Fall, David Thomas bzw. Pere Ubu, Vágtázó Halottkémek, Mark Stewart, Adrian Sherwood und Lee Scratch Perry. Um mal spontan einen für mich essentiellen Grundwertekatalog anzudeuten. Zonic-Dauergäste waren sie sowieso. Zitiere ich mich also gleich selbst in barocken Bruchstücken, die aus Zonic #8 gerissen sind:
„...das vorbelastete Wort “Fan“ / Nicht-Abstand bei Nicht-Identifizierung / Eine Welt voller Paradoxien, die gelebte Intramontanität der Eigentlich- Außerweltlichen, Widerspruchsballung und Transformierung/ eine selbstbezügliche Bandästhetik, die inner-/außerhalb der Punk/Hardcore-Welt ihre ganz eigenen Schlachten schlägt/ orientierten sich ...an einer eindrucksvollen Art von HardCore/ vielleicht mit der Power der besten DISCHARGE-Sachen verglichen/ eine ganz eigene Stufe / mit genrefremden Elementen wie eben Waldhorn oder Flöte, Keyboard oder akustischen Gitarren. Härte und Melodie vereinigen sich zu einem rasenden glühenden Magmastrom, über den Gitarrenstürme aus dem Andererseits hinwegfegen mit unerbittlicher Gewalt, eine harte, rauhe und beschwörende Stimme brüllt Dir den gewaltigen Zorn Gottes entgegen und das Horn scheint alles zerschmettern zu wollen, wegzublasen, wie zu alttestamentarischen Zeiten jene Posaunen die Mauern von Jericho/ dabei alles andere als zufällige säkularisierte Metapherhaftigkeit / aus einem zutiefst religiösem Background, den vor allem Budzynski verkörpert, lebt und ausdrückt...vermengt mit indianischem Mystizismus und einer selbstgewählten und definierten bzw. zum künstlerischen Ausdruck, u. a. als Bandsymbol (LP-Cover), gebrachten Don Quichote-Sicht/ ...“ usw. usf.
Das war vor Jahren - & könnte heute gleich klingen. Oder ganz anders. Armia, bei denen Robert Brylewski zum „Goldrocker“ wurde, entziehen sich den Zuschreibungen immer wieder. Hier kreuzen sich hartkernige und metal-bewehrte Punk-Gewalt mit einer teils Gothic-ähnlichen Attitüde, als wären jene erwähnten Discharge ein Projekt mit Dead Can Dance eingegangen. Oder als würden die Dead Kennedys mit den Swans der „Children of God“-Phase kooperieren (auf der 1994er Platte „Triodante“, post-Brylewski, sollte deren „Blind Love“ gecovert werden). Nicht ohne die Schlachtruf-Hymnen von New Model Army und die Breitwalzrockstrukturen von Killing Joke am Rande rezipiert zu haben, aber wahrscheinlich auch J.S.Bach, Tangerine Dream, Sepultura und höfische Tänze des Spätmittelalter. Hier wird zudem Poesie gebrüllt, werden Rimbaud und Beckett eingefügt, treffen sich in Tolkien´schen Welten Dante und Jesus Christus. In dessen Dienste die Armee heute, etwas entschleunigter und schwermetallener, vollends steht. Cath Metal, wie das Bert Papenfuß mal so schön nannte. Christ Core heißt´s in Polen.
Aber all das wußte ich nicht, als mich die Wucht zum ersten Mal traf, zuerst aus dem Radio: 14.05.1988, DT64 natürlich, Parocktikum, wo sonst. Holger Luckas im Marchewka-Bericht: „Brylewskis Gitarrenspiel überzeugte derart, daß zumindest optisch waschechte Punks am Rande der pogo-tanzenden Meute in schönster 70er-Jahre-Manier verzückt die Phantomgitarre bedienten...“. Stichwort für mich war da wahrscheinlich „pogo-tanzende Meute“. In eine solche warf ich mich dann auch im nächsten Jahr, inzwischen selbst Mitglied einer ganz anderen Volksarmee. Verzweifelt-ekstatischer Urlaubspogo in der Werner-Seelenbinder-Halle, Ende September 1989, die DDR in den letzten Zügen, nur wußte man noch nichts davon, das Gefühl war allein: es würde sich bald etwas ändern. Dafür stand dann auch die Firma mit T-Shirts vom Neuen Forum auf der Bühne ein, ich aber dann doch nicht in der Schlange zur Protest-Unterschriftenleistung, sondern, soviel zum Pop´n´Politics-Aspekt, in der anderen, nämlich zum Erwerb einer Kampec Dolores-Platte. Die spielten als magyarischer Beitrag bei diesem Ostblock-Underground-Abend, genauso wie Dekadance und Die Skeptiker, Va Bank aus Moskau, die reformierten Tilt und eben Armia. Die den Saal mit ungewohnt professioneller Härte aufmischten. & später sogar mit Firma und Tilt auf kurzer DDR-Tour waren, Kontakte zur Firma und Feeling B waren über die Polen-Aufenthalte letzterer zustande gekommen (die ja fast, wie das äußerst empfehlenswerte Feeling B-Buch „Mix mir einen Drink“ zu berichten weiß, nach Polen ausgewandert waren aus Begeisterung für Land&Leute&Szene), und Die Firma coverte nicht zuletzt in mit äußerster Vorsicht zu genießender deutscher Übertragung die Bandhymne „Niewidzialna Armia“:
Unsere Herzen sind wie Knoten
Unsere Gedanken sind wie Schatten
Unsere Momente sind wie ein Jahr
Unsere Tage sind wie die Nächte
Unsere Worte sind wie Blut
Unsere Schritte sind wie ein Regen
Unsere Augen sind wie ein Traum
Unser Leben ist wie ein Song
Wir sind die Lacher, die allmächtigen Lacher
Wir singen von der vergessenen Fülle
Wir sind die angesiedelten Siedler
Wir sind eine Armee
Wir sind die unsichtbare Armee
In rauchig leidensvoller Stimme von Tatjana ins Mikro gestöhnt bzw. -dröhnt... Gänsehaut. Oder auch: Poesie am romantischen Rande zum Kitsch. Je nach Betrachtungs- & Hörwinkel (& nicht zuletzt: Übersetzungsfähigkeit!).
Als Anekdote sei noch eingestreut, dass auch Feeling B für einen Song ihrer zweiten Platte einfach mal ein Riddim von Izraels „Nabij Faje“ klauten, diesen dann aber fairerweise auch einfach gleich „Izrael“ nannten... . Aber dies nur nebenbei.
Nach jenem Konzert in Berlin, so die Legende, schmiedeten Lipinski und Brylewski jedenfalls den Plan, Brygada Kryzys ein zweites Mal aufleben zu lassen, was als Resultat die teils recht reggae-rockige „Comsopolis“-Platte zur Folge hatte, auf der allerdings, des Inzests nächste Station, neben den beiden fast vollständig ein Querschnitt aus Izraeliten und Armisten spielte. Aber Berlin mußte noch ein weiteres Mal herhalten als Wendepunkt im Geschehen, denn hier, genauer nach einem Konzert im Eimer, Dezember 1993, entschied sich Robert Brylewski in seiner spontanistischen Art ad hoc, die immer orthodoxer werdende Armee zu verlassen. Sprach´s aus und verschwand, die Band, in der er der einzige englisch sprechende war, orientierungslos im damals noch wilden Berlin Mitte zurücklassend. Anschließend überschlagen sich die Ereignisse: vier Monate später, nachdem Robert nun schon die führende polnische Untergrund-Band verlassen hatte, deren Status nach den LPs „Legenda“ und „Czas I Byt“ (Hallo Heidegger!) unangreifbar war, was nicht zuletzt auch eine ökonomische Sicherheit darstellte, löste er kurzerhand auch Izrael auf- um deren Einladung zum ersten Pariser-Festival in Greifswald wir uns gerade bemühten, noch ganz euphorisiert vom eigenen Erleben der Band in Szczecin (als Ersatz spielten dann übrigens die von ihm so phantastisch zwischen Hardcore und minimalistisch rollendem Dub produzierten und auf Gold Rock veröffentlichten Bedzie Dobrze).
Part III: Fallen fallen is... RMB
Armee ade (die ohne ihn spürbar um einen wesentlichen Kreativpunkt beraubt waren). Izrael kaputt (die sich erst kurz vorher zur Band entwickelt und im Ariwa-Studio zu London die Reggae mittels Afro-Jazz, Rest-Rock-Psychedelic-Dub und Sprechgesangsanbannung transzendierende LP „1991“ aufgenommen hatten, deren Ende aber schon tragisch mit einem Bandbusunfall begann, der den Live-Mixer Zuber, des Meisters Freund&Zögling, sowie die Frau von Schlagwerker Stopa das Leben kostete).
Auf weiter Flur der frühen 90er Jahre richtete RMB sich zuerst noch recht gemütlich ein, mit eigenem Studio Zlota Skala plus angegliedertem Label Gold Rock, wo es, wie kaum anders zu erwarten, zumeist zwischen Hardcore und Reggae zuging. Seine neue Band hieß Falarek und stand hingegen für schweren Früh-90er-Rock, für Breitwand-Druck in kompakten Schüben und verlangsamte Aggression mit Tiefensog, um flirrende Elektronika und etwas Dubtechnik erweitert. Für RMB war es zudem die erste Band, bei wirklich persönliche Texte ins Spiel fielen. Aber der Optimismus hinsichtlich Falarek, den er bei unserer ersten Begegnung Sommer 1995 ausstrahlte, wurde nicht belohnt, das Projekt verschwand nach einer CD, ohne das Potential ausgeschöpft zu haben (& genug Material für eine Triple-LP liegt ungenutzt im privaten Archiv, ohne das jemand die Sache organisatorisch in die Hände nehmen will oder kann – so Marcin Miller, der in London sitzende Mann für „global stuff“ in diesen Zusammenhängen, auf allen Armia- & Izrael-Platten gewürdigter Netzwerker, der u.a. die Ariwa-Sessions organisierte und vor kurzem recht erfolgreich Armia und Brygada Kryzys nach London holte). Die Sorgenfalten von Ehefrau Vivian Quarcoo deuten schon damals auf nichts Gutes hin. War sie doch mit dem Izrael-Split de facto arbeitslos, während Robert, der Izrael vor allem aus seiner Verweigerung bzw. Unfähigkeit heraus auflöste, eine Art Bandleader zu sein, sich endlich in Freiheit wähnte. Was aber eben auch frei von relativ sicheren Einkünften bedeutete. Während jedenfalls die beiden Kinder ferienhalber bei der Babuschka weilten, kaufte Robert sich zwar noch die tägliche Ganja-Ration, aber danach hatten die beiden nicht mal mehr genug Geld, sich eine Suppe in der Bar Mleczny um die Ecke zu leisten (zu mehr sich von uns einladen zu lassen, verboten dann jedoch Stolz und Bescheidenheit).
& irgendwann wurde scheinbar alles zuviel – oder zu wenig.
Zwischenblende 2
Die eigentlich keine ist, eher ein Zoom-Versuch.
Was aber kann man wissen, soweit weg von den Dingen um Robert Maxymilian Brylewski, um ein Persönlichkeitsbild zu entwerfen? Die paar Male, die ich ihn traf, war er unglaublich aufgeschlossen, offen, ehrlich bis zur Entblätterung, dabei äußerst zurückhaltend, was die eigene Präsenz angeht. Ein Star des polnischen Underground, den die historische Last wohl eher erdrückt, der beim Reden verlegen in die Gegend schaut, nie direkt ins Gesicht, stets nervös auf & ab wippend. Ein brillianter Musiker mit geradezu kindlicher Spielfreude, der backstage noch Stunden nach dem Konzert auf der Klampfe Songs drischt bzw. erfindet in Unaufhörlichkeit und einem die Konga in die Hände drückt, auf das es Session werde: we´re jammin´... . Der auf der Bühne jede Langeweile vermeidet, die Gitarrenlinien ständig verändernd, dauernd neue Variationen setzend (was Spex-Kollegen Markus Hablizel verwunderte, der mit dem Verhältnis von geradezu Hendrix´schem Soloeinwurf zu straighter Punksonggestalt nicht klar kam). Ein anarchischer Quirl-ins-Feld, der bei dutzenden Projekten mitspielte, von den Akustik-Ethnodelic-Heroen Atman bis zum Jazz-Dub-Punk-Poesie-Bastard The Users, bei dem aber stets klar ist, das alles zu seinen Bedingungen läuft. Der nur tut, was er will, darin sicher starrsinnig bis zum Wahn (beim gleichen Brygada Kryzys-Konzert, März diesen Jahres in Poznan, überwarf er sich kurzerhand mit der Band und setzte noch 15 Minuten lang nach mit einer wilden Feedback-Orgie, auf und neben die Guitar springend, Keyboardlinien drüber werfend...- manisch). Einer, der sich nie verkauft, garantiert, zu keiner Bedingung. Ein ewiger Punk-Brethren, immer stylish, in jeder noch so verlorenen Position, mit untrüglichem Gefühl für die Eleganz des Zerfalls - & sei es der ganz persönliche. Ein Ganja-Junkie sondersgleichen, dem aber mittlerweile leider auch erweiterte multitoxische Neigungen nachgesagt werden. Ein Selbstzerstörer, dessen Schicksal eine ganze Szene (-Generation) traurig bewegt. Vielleicht das größte Talent, das in diesen (Generations&Szene)-Zusammenhängen unterwegs war, wie nicht nur der oben erwähnte Marcin Miller meinte, der im verräucherten Backstage in Poznan plötzlich neben mir saß – und der zu jenen gehört, die seit einiger Zeit versuchen, aus der Brylewski´schen Krise wenigstens wieder eine stabile zu machen.
Was ja laut Olga Tokarczuk angeblich auch der Normalzustand polnischer Gesellschaftsformationen sein soll.
Part IV: Revival relativ
Wenn mensch der Historisierung schon nicht entgehen kann, sollte man sie schon positiv benützen.
Seit letztem Jahr sind Brygada Kryzys nun more or less überraschend wieder aktiv, aus der Asche der Legendenposition erhoben, ganz neu formiert um die beiden alten Herren Lipinski und Brylewski, im Management flankiert von Kelner, dem ewigen Kompagnion des Warszawaer Kumpelkultkomplexes, mit dem Robert immer mal zwischenzeitlich das Projekt Max I Kelner pflegt und der übrigens auch im Dezember 2003 noch einen alten Selfmade-Sticker von Deuter an der abgewetzten Lederjacke trägt. So gesehen zum „Punk Rock Later“-Festival in Katowice, ein Folgeevent zm gleichnamigen Buch, quasi das Äquivalent zu Teipels „Verschwende deine Jugend“, wenn auch auf sehr viel kleinerem Niveau- letztlich sind es nur acht längere Interviews mit wesentlichen Gestalten der Underground-Ur&Frühgeschichte, ergänzt um eine entsprechende CD-Beilage. Das Ereignis war ansprechend bizarr: an die 8000 Alt- und vor allem Jungpunks im Katowicer Sportpalast, kein Alkoholausschank (sic!), die Gänge um das Riesenrondell, in dem sonst sowohl Eishockey als auch Ozzy Osbourne stattfindet, auf das grellste neonbeleuchtet und Security-gefüllt - und neben den fast in alter Härte aufspielenden Armia und den gewohnt krachend-bolzenden Dezerter wußten nur BK wirklich zu überzeugen, weil sie im Sound eine frei schwingende Brücke fanden, die ins Jetzt reicht. Obwohl vorerst nur alte Songs gespielt werden - die neuen, so Lipinski in Poznan, kommen erst in der nächsten Stufe des Durchstartens. Denn BK arbeiten an einem neuen Album, Arbeitstitel „Euro Crisis“. Eigentlich sollte jenes schon am 1.Mai auf den Markt, zum Tag der Osterweiterung. Aber man tut sich noch schwer, weiß zu sehr um die geballte Erwartungshaltung an die, und auch Lipinski benutzte jene Formel, die Robert bereits zwei Jahre zuvor fallen ließ: die „Grandfathers of Polish Underground“.
Bleibt nur zu hoffen, respektive bangen, dass jetzt, wo schon „Tribute to Kryzys“-Alben erscheinen, auch unser Held Robert Maxymilian Brylewski durchhält.
Bis zur Gold Rockers- Rente.