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Rastaman in Prague
Hypnotix

unbekannter Autor
Osteuropäische Musik findet ja nun nicht gerade selten in diesem Heft ihr (dieszulande oft einziges) Forum, schließlich sehen wir in diesem Spezifikum nicht zuletzt eine unserer Existenzberechtigungen auf dem unter- und übergründigen Magazinmarkt.
Aber dem Zonic-Engeweihten wird dies kein Geheimnis sein.

Reggae & Dub waren dabei bisher aus gutem Grunde vor allem aus Polen zu verorten, jenem Lande, in dem Punk & Reggae in diverser Kooperation seit Ende der 70er für wunderbare und oftmals unikale Resultatsfrüchte sorgten - verwiesen sei diesbezüglich auf die Artikel zu Reggae in Polen bzw. zum Kamahuk- Label in Zonic #7. Lange Zeit dachte ich fast, Polen wäre das einzige osteuropäische Land, in dem die Botschaft der schweren Riddims und marihuanageschwängerten Weisheit angelangt sei, da machten auch die elektronischen Dubschleichereien von Fruitman aus der estnischen House-Szene und die kürzlich in meinem Horizont mit ihren Folk-Dub-Housegemischen aufgetauchten ungarischen Anima Sound System nicht viel wett. Tschechisch/slowakische Sachen dieser Soundlichkeit fielen bisher noch gar nicht auf, aber so was kann ja auch immer mit den Lenkungen durch die personell determinierten Einstiegsstellen in eine Szene zusammenhängen, jedenfalls wurde ich bisher nicht ohne Grund neben den üblichen landestypischen Punkgewächsen und hier zu vernachlässigenden Ausnahmen vor allem auf Musik aus dem eher “avanten“ Musikbereich aufmerksam (gemacht), seien es nun Uz Jsme Doma, M CH Band, Dunaj, Iva Bittova, Pustit Musis oder, um die Länder doch mal wieder zusammenzufassen, die Releases des slowakischen Undergrounds auf dem Zoon Records-Label. Wenn es nun um die Frage der Augenmerkslenkung auf die Hypnotix als das größtmöglichst vitale Beispiel für eine tschechische Reggae-Sache von exzellentester Qualität und zudem schwerster Dubgestalt geht, so erfährt hier schon der Charakter eine Sonderstellung, die der Band ohne Zweifel zusteht, seine weiträumige Entfaltung. War es doch kein Einheimischer, sondern Steve Barker (DJ “On The Wire“ auf BBC One als Lancashire und als Reggaeexperte oftmals Verfasser der Linernotes auf den Tonträgern des Reggae-Rerelease-Labels Pressure Sounds), der mich auf der ON U-Sound –Party während der Pop Komm ´95 auf die Hypnotix verwies, übrigens pikanterweise auch noch mit einem Hypnotix-Shirt angetan. Einen besseren Werbeträger bzw. kompetentere Empfehlungen kann man sich als Dubband wohl kaum wünschen, daß hier zudem offensichtlich auch noch eine Band aus dem Osten bereits an solcher Stelle angekommen zu sein schien und verbreiteten Widerhall gefunden hatte, war dann schon eine kleine Verwunderung wert, auch wenn die Sache natürlich auch ihre herleitbaren Gründe hat: erst viel später erfuhr ich, daß Barker der Band freundschaftlich eng verbunden ist und einen Löwenanteil an ihrer internationalen Rezeption/Reputation hat, so organisierte er die z. T. die Produktion ihres ersten Albums “Rastaman in Prague“ (Boston) von 1990 und stellte Kontakte zur englischen Reggaeszene her, die produktive Früchte tragen sollten- wie es noch anzudeuten gilt. Aber Freundschaft und weiterlaufendes Engagement stellen sich hier ja nicht einfach so her – der Schlüssel liegt bei der Band selber ihrer Musik, ihrem Wesen in Erscheinungsbild und Sound, ihrer ausdrücklichen Kraft in Ausdruck und Klang: Charakterzüge gen Zion oder Wort-Sounds mit Macht.
Die Hypnotix in ihrer jetzigen Gestalt entstanden 1990, als die tschechischen Musiker auf einer Tour den Senegalesen Bourama Badij trafen und jener sich entschloß dem bereits gefestigten Riddim-Fundament seine Prägungen als toastender Dub-Poet sowie als stark politisch orientierter “slave of jah“ zu verleihen, in einem vielleicht auch prophetenhaften Selbstverständnis, das an Marcus Garvey´schem Rastafarianismus genauso wie an afrika-nischen Mystizismus (er entstammt einer alten senegalischen Familie von Medizinmännern) angelehnt ist. Ein eindringlicher Prediger, ein Beschwörer und Aufklärer- ein Diener an der Sache, der nicht müde wird, seine Apelle, Aufrufe und das Prinzip vom friedlichen Zwischen- Kulturen- oder eben einfach nur Zwischenmenschlichkeitsdasein metaphysisch rückversichernden Gottesanrufen zu repetieren. Seine Sprache ist direkt und klar, emphatisch und anti-babylonisch aggressiv bis zu einer politischen Attitüde, die mich an die politische Seite von On- U Sound erinnert oder im Hardcore-Sinne an die Bad Brains (inklusive manche antiquiert erscheinende Vereinfachung in Darstellung und Herleitung), daß dabei neben Englisch auch noch verschiedene afrikanische Dialekte zu lingualen Trägermitteln werden, scheint das Anliegen einer gezielten pointierten Adressierung noch zu unterstreichen. Womit es dann aber auch wieder an der Grenze zum symbolischen Handeln balanciert, denn es erscheint ja schon fraglich, ob unmittelbare aktuellpolitische Fragen afrikanischer Politik wie das Inkatha-Problem (“Inkatha“ von der zweiten LP “New World Order“, 1993 Monitor-EMI), gesungen in einem afrikanischen Dialekt und als direkte Anklage formuliert, im bisherigen Wirkungskreis der Band ihre Adressanten finden bzw. ob es hier nicht eher wieder eine musikalisch phantastisch umgesetzte Selbstversicherung ist, die uns tanzend in Bewegungsströme versetzt, die uns etwas narzißtisch das utopisch/sehnsuchtsbeladene “bessere“ Welt-verständnis für ein paar Stunden (Konzert/Party/Homelistening) gemeinsam abfeiern läßt. Dies sei dahingefragt... aber schließlich glaube ich dann doch irgendwo noch an den positiven Effekt (Hoffnung: Schneeballef-fekt), das Bewußtsein aufbauende bzw. befördernde Wirken von Culture im Graben an Roots, die in eben ihrer Unterschiedlichkeit die Gemeinsamkeit erkennen lassen - nicht zuletzt auch im Empfangen und weiterleiten von Vibes. Politik groovt hier also, pulsiert in einem wohl ganzheitlichen religiösen Weltverständnis, das sich aber nicht in Prädestination ausruht oder in messianischer Erwartung verharrt, sondern an die wie auch immer geartete Aktion glaubt - mit positivem Ende inklusive, also Judgement Day, der Fall Babylons und der Einzug in Zion etc.. Ein Arbeiten von Unten her, das die politische Resignation nicht teilen will und auch nicht kann aus bewußtheitlichen Gründen (Motivationsweiszitat: „I´ll go through for you, Jah Jah“ Israel Vibration). Vom Dahin-schmelzen solcher Schneeballidentitäten in der Hitze des Heute bzw. vom Umlenken oder Einlenken dieser Energien in Märkte und diesbezügliche gesellschaftliche Selbstverwirklichungsüberbauten sei nicht mehr die Rede, das Problem in all seiner infragestellenden Brisanz dürfte im Anriß als Frage von verwirrender Klarheit evident sein. Mehr als erst mal Weitermachen in gleichzeitiger Orientierungsbemühung fällt mir eben leider jetzt und hier auch nicht ein.
Interessant ist in diesem Zusammenhang noch der Aspekt, daß hier ja eine weiße tschechische Band ihre Hauptidentifikationsmomente durch einen vor allem mit afrozentrierter Thematik hantierendem, dabei aber die politi-schen Gesamtbaylonverwicklungen in analytischen Blick nicht vernachlässigen schwarzen Rasta erfährt- übrigens ein Gruppenbild, daß neben den Hypnotix auch noch anderen tschechischen Reggaeformationen wie Svihadlo oder der Afropop- und Reggaeband Babalet eigen ist, so kommt der Svihadlo-Sänger Vincent Ricards aus Jamaika und Babalets Martin Tankwey aus Zaire. „Only one priest...“ lautete ein relativ passender Kommentar einer tschechischen Konzertbesucherin dazu- „Only one priest in the church“. Nun ist eine solche Zusammenarbeit ja so neu auch wieder nicht, in Polen wird z. B. beim Kamahuklabel besonders an solchen Konstellationen gearbeitet, aber die Frage nach dem möglichen Identifikationen über ein Zusammenwirken von Bandgesamt-sound und dem Worte liefernden (Alle Lyrics sind von Badji) Sprachrohr stellt sich natürlich, ist hier aber mangels Möglichkeiten der Hinterfragung nicht zu klären. Gemeinsame Grundlage dürfte wohl vor allem die Musik sein, Basis, Entwicklungsfeld und Verständigungsmittel außersprachlicher Form.
War vorhin schon von On- U Sound die Rede als ungefähren Vergleichswert in der antibabylonischen Positionierung, so läßt sich auch im musikalischen Sinn ein kleiner oder manchmal auch größerer Verwandtschaftsgrad in speziellen Details ausmachen, die sich in das kompakte Soundbild fügen. Speziell erinnern viele der schwer dubbigen Parts, die sich in teils überlange Passagen ausdehnen können, in ihrer polyrhythmischen Aufladung durch die hervorragende Perkussionistin Milada Ditrichova an African Headcharge in ihren besseren Zeiten und nicht zuletzt wurde das bisher letzte Album der Band, das 1996er “Right Time“, von Louis Backett abgemischt, welcher Soundmann eben der Herren um Bonjo lyabinghi Noah. Themen werden hier entwickelt und dürfen sich zumeist auch über sechs Minuten ausbeuten lassen, ein Hang zur Maximalvariante im Sinne der sich in spannender Variabilität äußernden Kunst der groovenden hypnotischen Langsamkeit ist kaum zu überhören. Die Riddims sind schwer, zumeist midtempo oder noch tiefer angelegt, es werden allerdings auch gewagte Ausflüge der Dreiviertel Takte nicht gescheut, die Strukturen sind oft klar bis zu einer kristallin scharfen Konstruierung, die schleichend mit voluminöser Bassarbeit und effektivem Einsatz von Gitarre sowie im elektronischen Klang etwas retrovertiert anmutenden Keyboard (hoher Alterswert vermutet) aufwartet. Gelegentliche Soloanflüge an Leadgitarre oder Keyboard (das Wort Synthesizer gibt eigentlich eher eine entsprechende Klangassoziation her) bleiben dabei nicht aus bzw. manchmal nicht erspart- aber das ist wohl Geschmackssache, zuviel Rock im Reggae lag mir jedenfalls noch nie.
Bourama Badji nun predigt überall dem seine Botschaften in den Gesamtsound hinein mit auffallender Omnipräsenz, sein Stil erinnert im Wortsoundfluß an Mutarbaruka oder Banjamin Zaphaniah, also eher an Toasting der langsamen Art, harte Akzentuierung und eine leicht zum Imperativ neigende Unerbittlichkeit sind dabei Charakteristika, die live von einer unentwegt in hochenergetischen Tanzbewegungen befindlichen eindrucksvollen Rastafigur sich verkörpert finden. Ein Hauch Mystik im Blick inklusive.
Der Sound ist hart, zäh wie flüssig, die Dubs sind heavy, aber nicht zu fett, größtmögliche Wirkung durch sparsamen Effekteinsatz zu erzielen und den Sound dabei so natürlich wie machbar zu halten, scheint die zumeist vorherrschende Devise zu sein. In diesem Sinne würden mich Remixe der Band interessieren, vielleicht durch Vertreter der englischen Neodubszene um Conscious Sounds, aber dies sei mal einfach nur in den Raum gestellt.
Das die Band nunmehr europaweit vertretende und in Berlin residierende Label African Dance Records möchte in diesem Zusammenhang den Begriff “Spacereggae“ eingeworfen wissen. Gewollt - getan. Was allerdings mit “Pink Floyd meets Mutabaruka“ gemeint sein soll (übrigens sehr lustig, in einer Pressemappe nachverfolgen zu können, wie da eine Beschreibung in Artikeln einfach so weitergereicht wird ...), erschließt sich mir erstmal nicht sofort, da werden doch zu unterschiedliche Assoziationsflüsse freigesetzt (zwischen Instellar Duboverdrive und The Wall ... of Dub ?).
Nun ja. Musik und Verwortung. Das alte Ding der Unmöglichkeit.
Da hilft es doch viel eher, daß die Band ununterbrochen auf Tour ist und somit das Liveerlebnis als unmittelbare Erfahrung des Hypnotix-Wesens möglich erscheint. Süddeutschland, Österreich und der Osten Europas sind bisher die Hauptbewegungsfelder (besondere Wertschätzung erfährt die Band übrigens/natürlich - ein Gähnen ist kaum zu unterdrücken – in Polen, von Osteuropas uneingeschränkter Dubband Nummer Eins zu sprechen, wie es die Bandinfo so leichtfertig tut, würde ich jedoch mit dem Verweis auf den “Spacereggae“ der 1993er Izrael “Live“ nicht wage, da wurde wohl etwas vorschnell geurteilt). Konzerttechnisch wird sich jedenfalls/nunmehr immer öfter gen Norden hochgearbeitet & nicht zuletzt arbeiten auch wir untergründig an einem Auftritt hier in Greifswald, so das Schicksal sich glücklich fügt.
Wo der Exodusweg den Rasta-Sound aus Prag musikalisch noch so hinführt, wird sich dieses Jahr wahrscheinlich auch noch offenbaren, ein neues Album ist jedenfalls angekündigt und schon mal unbehört in tiefem Vertrauen in die Potentiale der Band vorab anempfohlen- genauso wie alle drei Vorgängeralben. Aber das bräuchte ich am Schluß des Artikels gar nicht hinzuzufügen- und tat´s aber doch. Warum? Weiß nicht. So ein richtiges Artikelfinale mit Anschlußmöglichkeiten und zugleich prägnantem Substrat am Ende ist eben auch nicht so leicht.


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