„Elektrus“ hieß ein von Christoph Karsten zusammengestellter und 2000 bei What´s so funny about erschienener Sampler voll mit aktueller Electronica aus Russia, vornehmlich St.Petersburg, der hier im Nachhinein seine Empfehlung finden soll, in aller Verspätung, auch in aller der Compilation eigenen Stildisparität und Niveauunterschiedlichkeit (und in der eventuell zu kritisierenden offensichtlichen Plünderung von konstruktivistischer Plakatkunst zu Popzwecken... aber das wäre ein eigener Artikel, vielleicht mal nachträglich auf www.zonic.de...). Fono Records aus der Heimatstadt Putins (wie Dostojevkijs oder Gogols oder oder...) hat sich nun der griffigen Formel Elektrus angenommen und läßt die Produkte darunter sich sammeln. Einige davon, die aktuellsten natürlich, seien vorgestellt:
Herzstück des Labels sind die Novi Kompositori. Electronica- Altstars im russischen Reich, ja sogar noch zu sowjetunionistischen Zeiten, seit 1983 aktive Posten, Ambientpioniere mit Tendenz zum ganzheitlich sinnlichen Erfahrungsangebot- gründeten den Science Fiction Club Leningrad, um geschickt, das Ganze war eigentlich für Kinder gedacht, das Planetarium der Stadt für Sound´n´Visuals- Exkursionen gebrauchen zu können- , etwas später genauso Rave- Botschafter, infiziert von Aufenthalten in Holland und London Ende der 80er/Anfang 90er. Aber rattern wir nicht gleich die Biografie runter, zu der u.a. auch Produktionen mit Brian Eno oder Pete Namlock gehören, die Soundografie schließt jedenfalls viel ein zwischen Weichflusselektronika, von Frühlingswärme bis sibirische/ außerplanetare Kälte (Chill out), und technoider Klangkraft, nicht zuletzt bastelt Mastermind Valera Alakhov auch an derartig angelegten Soloschlagwerken (dokumentiert u.a. auf der Goa- der kühlen und besseren Art allerdings- soundalike, Techlectro- Compilation „nord.e.lektro“ auf Gaia Tonträger/ Indigo, dort mit ein paar Russischsamples in Kombination mit einem gewissen Bosch, allerdings auch als NK firmierend; Mitstreiter Igor Vorotnikov spielt solo dagegen eher seicht sentimentale Unterhaltungs- Klassik auf dem Piano...). Auf dem neuesten Machwerk „Indigo“ verbündet man sich nun mit Sergei Gasanov von der Formation Bachadur, der an Sitar, Flöte und Gesang für weltmusikalischen Einklang sorgt, für eine nicht klischeefreie Spur indisch inspirierter Seeligkeit, soweit die Räucherstäbchen reichen, die da im Rhythmus glimmen, der durchaus geeignet sein kann, späte Goafloors mit entschleunigter Entschlossenheit zu füllen, oder, wie zuletzt in Greifswald, ausgiebig auf weicher Grundlage flezende Menschen in klanglich angehobene Bequemlichkeit zu zwingen. Day after sounds, Sonnenblinzel anempfohlen, zumindest als Gefühl, Experimentalfilme reichen auch, wie erlebt. Bachadur selbst, ein Duo inklusive noch Mikhail Ogorodov an diverser Klaviatur und Tastatur, haben auch gleich noch einen Release beim Label, bescheiden mit „Existence Style“ betitelt. Vielleicht sollte ich Hippieduo sagen, die Elektronik hat ihre schwere 70er-Komponente, die teils mit dem Jetzt kurzgeschlossen wird, teils aber auch im Ethno-Kitsch versinkt. Den man aber auch genießen kann, je nach Erwartungs- und Hörhaltung, sicher gut für Eine-Welt-Laden-Beschallung geeignet. Abgekühlter geht es bei Parki zu, auch wenn die Esotheriknote eventuell in abgeklärter Form gleiche Höhe erreicht. Parki ist Igor Bystrov, der das neue Album „Where Trees End“ im Spätherbst an der See, genauer dem Finnischen Meerbusen aufgenommen hat, entsprechende Baum&Wasser-Bildlichkeit bildet auch die Booklet- Ikonografie, musikalisch ist das Ambient von der ruhigsten Form, gelegentlich zart auch an Downbeat- Gefilde sich annähernd, immer in breiter Flächigkeit strömend, immer Weite, immer Horizont, Musik wie ein sehr langer einsamer Blick übers Meer (was zugeben auch recht kitschig klingt, aber ja wohl nicht sein muss...). Einen wirklich guten Blick über das Labelschaffen bietet abschließlich „Forces of Light“, live in der Gloria Hall zu Helsinki aufgenommen, da finden sich sowohl Novi Kompositori als auch Parki, dazu die aus Riga stammenden Alexandroid- die mit „Gods Delusion“ auch einen Einzelrelase zwischen dünnluftiger Elektrominimale und trashiger Techno- Knüppligkeit auf Fono aufzuweisen haben-, die Großformation 2012 mit einem teils irgendwie an Ole Lukkoye oder Korai Öröm erinnernden Set voll Bassrundlichkeit und geräuschhafter Downtemposample(wie live-)konstrukten und Vokalexperimentale bis in fast Diamanda Galas´sche Schreiextase, und noch DJ Nadezhda aus St.Petersburg plus einige finnische Gäste, die Befruchtung der benachbarten Szenen scheint recht lebhaft zu sein, aus geografischer Lage bedingt sicher auch, Helsinki in Vorpostenposition, das kennt man ja dito von Tallinn her, bleibt die Hoffnung, das dabei auch die finnischen Eigenheiten zu Ausformungen selbstbewußter Klangentwürfe von eigenständiger Sound- Gestalt führen.
Wieviel Unverwechselbarkeit in der postmodernen weltumspannenden Electronica machbar ist, stellt sich natürlich als Frage, besonders wie und ob diese auf lokale Besonderheiten zurückführbar sein kann, auch über die dialektische Beziehung von Equipment und sozialer Lage hinaus.
Wie russisch ist ELEKTRUS letztlich?
Dies herauszuhören gilt die Einladung.
Kontakte/ Produkte über www.fono.ru oder das DKB in Berlin, Torstrasse 60 (DKB@welcome.to)