Z: Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Wie kam die Musik für das neue Album zu dir?
Eigentlich war alles ganz anders geplant. Wir hatten eine Strategie, zur selben Zeit ein Theaterstück, eine Platte, eine DVD und verschiedene andere Aktionen zu veröffentlichen. Es sollte um das Stück Moby Dick gehen. Irgendwann stand die Theater-Aufführung vor der Tür, und die Platte war nicht fertig. Es ist kein gutes Gefühl, vor ein Publikum zu treten und zu sagen, tut mir leid, wir sind noch nicht fertig. Also konzentrierte ich mich erst einmal auf das Stück. Wir gingen mit Moby Dick auf Tour, doch nach einer Weile war ich nur noch gelangweilt von dieser Idee der Matrosen und der Jagd. Inzwischen hatten wir das Jahr 2000, und das 19. Jahrhundert fühlte sich plötzlich an wie zuvor das 18. Jahrhundert. Die ganze historische Perspektive streckte sich und alles erschien, als wäre es plötzlich viel früher passiert. Also blieben mir am Ende gerade noch drei Stücke von Moby Dick, alles andere schrieb ich neu. Ich kann noch gar nicht sagen, warum ich das getan habe. Ich hatte noch gar keine Zeit, darüber nachzudenken und kann deshalb kaum Antworten geben, die reif für eine Pressekonferenz wären.
Z: Ich denke ohnehin, dass sich das Verhältnis zu einem derart persönlichen Kunstwerk täglich und mit jedem Stimmungsumschwung ändert. Ist es nicht auch merkwürdig, die eigene Stimme auf diese Weise zu hören? Denn während du beim Geigespielen das Instrument direkt hörst, nimmst du doch deine innere Stimme ganz anders wahr. Es ist das Ventil der Seele.
Ich hatte selbst das Gefühl, die Stimme kam von einem anderen Ort. Während der Aufnahmen hatte ich einen merkwürdigen Traum. Auf der Außenseite meines Fensters sah ich einen kleinen Vogel, der mir irgendwie bekannt vorkam. Er versuchte vergeblich hineinzukommen. Ich fragte mich, warum er mir so vertraut wäre, aber ich kam darauf, dass es meine Seele war, die draußen gefangen war und nicht zurück hinein gelangen konnte. Und irgendwie erinnerte mich der Vogel auch an meine Stimme.
Z: Ich war an einen Vulkan erinnert. Du siehst, wie der Berg die Asche ausspuckt, doch die Lava kommt von viel tiefer als aus dem sichtbaren Berg. Sie kommt aus dem Herz der Erde.
Hast du jemals einen Vulkan im Ozean gesehen? Das ist wirklich aufregend, denn das Feuer dringt selbst im Wasser nach oben. Schwarzes Wasser, auf dessen Grund es glüht. Der Wasseraspekt ist auch auf meiner Platte noch sehr stark. Das liegt wahrscheinlich an der Faszination, die von Herman Melvilles Buch ausgeht. Ich meine, die Story ist simpel. Da sucht jemand nach einem großen Fisch, den er erst ganz am Ende findet. Das ist die ganze Geschichte. Aber ich mag diesen Plot gerade, weil er frei von Action ist. Dieses Gefühl überträgt sich auf die Platte. Ich suche nach etwas, von dem ich nicht sicher bin, ob ich es jemals finde. Aber wir sollten nicht immer finden wollen, denn das Suchen ist meist viel interessanter als das Finden. Wenn man etwas findet, kommt man oft am Ende der Straße an.
Z: Und ist nicht selten enttäuscht, weil es nicht dem entspricht, wonach man gesucht hat.
Letztes Jahr hatte ich das Motto 'expectation is experience'. Meine Hoffnungen waren so oft enttäuscht worden. Aber vielleicht lag es ja daran, dass meine Erwartungen zu hoch waren. Vielleicht sollte ich einfach meine Erwartungen verändern. Plötzlich würden sich meine Erwartungen und Erfahrungen decken. Optimal wäre es, wenn man gar keine Erwartungen hätte. Aber das ist unmöglich. Man würde seiner Träume und Perspektiven verlustig gehen. Dieses Album ist ohne Erwartungen entstanden. Ich schrieb eine Einleitung zu New York für die Encyclopedia Britannica. Vieles von diesem reportierenden Stil gelangte auf die Platte. Ich gehe hierhin und sehe dies, ich gehe dorthin und sehe das. Die Wahrzeichen von New York. Von meinem Studiofenster aus kann ich die Freiheitsstatue sehen. Sie wirkt winzig klein, und nachts sieht ihre Flamme aus wie ein winziger Funke. Es ist wundervoll. Ich musste über die Geschichte New Yorks genauso schreiben wie über die Gegenwart. Dabei fand ich heraus, dass New York schon immer ein Ort war, an den jeder kommen und sich sofort assimilieren konnte. Es hat nie irgendwelche Regeln gegeben. Jeder, der an anderen Orten Probleme hat, kann nach New York kommen und sich entfalten, denn hier kümmert es niemanden, was du tust. Es ist das wirkliche Laissez-fair.
Z: Und nirgendwo liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft so eng beieinander wie in New York.
Gerade jetzt ist es so verwirrend, weil die Stadt immer schöner wird. Überall entstehen neue Parks. Auf der anderen Seite aber werden Menschen verhaftet, obwohl sie nichts getan haben. Ein Freund von mir wurde eingesperrt, weil er neben zwei Leuten stand, die einen Joint rauchten. Es sieht schön aus, doch unter der Oberfläche passieren viele Dinge, die man kaum wahrnimmt.
Z: Du hast ja einen sehr schönen Weg gefunden, mittels Saiten die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Die Streicher-Arrangements erinnern mich teilweise an alte Soundtracks aus den Vierzigern.
Diese Soundtracks berühren unmittelbar die Saiten des Herzens. Ich habe eine neue Geige von dem Gitarrenbauer Ned Steinberger mit einer zusätzlichen Saite bekommen, die einen wunderbaren Klang hat. Normalerweise spiele ich alles mit dem Computer ein und die Geige steht in der Ecke. Manchmal spiele ich für mich selbst ein bisschen Geige oder setze sie in Shows ein, aber auf Platten habe ich sie seit 1981 nicht mehr in die Hand genommen. Ich begann diese Geige im Studio zu spielen und dabei hin und herzulaufen. Die Standardisierung und Perfektionierung unserer gesamten Umgebung macht mich derzeit völlig verrückt. Und Computer treiben diese Entwicklung natürlich voran. Man schreibt nur noch Briefe ohne Fehler, alles klingt perfekt, aber eben auch gleich. Das nervt mich. Außerdem habe ich gerade ein Orchesterstück geschrieben. Plötzlich arbeitete ich mit einem Orchester ohne Electronics. Nur Holz und Metall. Mein Gott, war das ein Klang. Auf diese Weise fand eine Migration der Strings auf die Platte statt. Als ich diese Musik schrieb, war Lou (Reed) gerade auf Tour, und ich blieb allein mit unserem Hund.
Z: Deine letzte Platte klang ja wie eine Skulptur, während die neue eher den Charakter einer Galerie hat.
Ich fand gerade erst heraus, dass jedes Stück einen Ort beschreibt. Es passierte gar nicht bewusst, aber die ersten Zeilen der meisten Stücke des Albums sagen dir, wo du dich gerade befindest. Vielleicht liegt es daran, dass ich direkt am Wasser lebe. Sowie man am Wasser ist, stellt man sich automatisch die Frage, wo bin ich. In den Straßen von Manhattan vergisst man zuweilen, dass New York eine Hafenstadt ist. Manchmal wachen wir am Sonntag Morgen plötzlich um 5:30 Uhr auf. Warum weiß ich nicht. Vielleicht hat sich der Luftdruck schlagartig verändert. Dann gucken wir aus dem Fenster und sehen ein riesiges, weißes Schiff in der Größe eines Eisberges an uns vorüber ziehen. Es ist 20 Etagen hoch. Du kannst fühlen, wie es den Fluss herauf kommt. Ja, dieses enorme Volumen, das die Luft verändert, weckt dich sogar auf. Ich liebe es, an so einem Ort zu leben. Jedes Stück auf der Platte ist ein bisschen Manhattan. Es ist eine Insel, die zugleich ihre eigene Welt geschaffen hat. Um jedes Stück herum ist viel Raum. Die Platte funktioniert wirklich wie ein Museum von Orten.
Z: Inwiefern hat die Stadt New York die Platte geführt?
Meinen Eintrag für die Enzyklopädie begann ich damit, wie New York nachts klingt. Manhattan hat auch tagsüber einen ganz eigenen Sound, aber nachts taucht man eben noch einmal in eine andere Welt. Es ist, als würde man unter Wasser leben. Plötzlich hört man Dinge, die man vorher nur geahnt hat. Das Bewusstsein richtet sich auch auf die Dinge die hinter dir liegen im Gegensatz zum Tag, wo man sich mehr auf das konzentriert, was man sowohl zeitlich als auch räumlich vor sich hat. Man wundert sich ein bisschen mehr. Letzten Sommer hatten wir ein paar wundervolle Nächte in New York. Gerade in der Dämmerung gab es so ein seltsames lila Licht. Ich ging mit meinem Hund in den Park und hatte manchmal einfach das Bedürfnis zu lachen. Wenn ich nirgendwo anders sein möchte als dort, wo ich gerade bin, fühle ich mich wirklich glücklich. Ursprünglich sollte die Platte Laurie Anderson heißen. Dann sagte ein Freund, das wäre ein total bescheuerter Titel für eine Platte. In aller Eile guckte ich die Titel der Platte durch und entschied mich für Life On A String. Irgendwann kam ich aber dahinter, dass es kein schlechter Titel war, denn er hatte sowohl etwas mit dem Fischen zu tun als auch damit, meinen Hund auszuführen. Ich habe einen Terrier. Andere Hunde haben andere Eigenschaften, aber ein Terrier lebt nur für seinen Spaß. Dieser Hund hat unser Leben total verändert. Neulich trafen wir jemand in den Ferien, und der erzählte später ein paar Freunden: Ich habe Lou und Laurie getroffen, aber die tun nichts anderes, als über ihren Hund zu reden. Und das ist wahr. Wir finden dieses Tier faszinierend und inspirierend. Es ist so interessant, eine Kreatur zu beobachten, die nichts hat als bedingungslose Liebe.
Z: Aber wäre es nicht wünschenswert, wenn Kunst öfter funktionierte wie die Kommunikation zwischen Mensch und Tier? Eine Art Verständigung, die nicht über den Verstand, sondern über das Gefühl und die Imagination läuft.
Gerade Hunde haben ja unglaublich wache Sinne. Obwohl sie nichts verstehen, nehmen sie doch vieles wahr, das uns entgeht. Als Künstler kann man vieles von Tieren lernen. Sie wiederholen sich nicht, sondern sind in jedem Moment hundertprozentig sie selbst.
Z: In einem Song schlägst du vor, etwas zu schreiben, das noch nie zuvor gehört wurde. Denkst du, das ist nach der Postmoderne wirklich möglich?
Als ich fünf war, hatte ich hinter unserem Waldhaus eine kleine Baumhütte aus Ästen. Ich rauchte eine Zigarette aus einem Eichenblatt und versuchte kleine Geschichten aufzuschreiben, die noch nie zuvor passiert sind. Zum Beispiel: Ein Mann geht die Straße entlang. Eine Gans bricht aus, die Sonne geht unter und die Mutter des Mannes kommt ihm in einem roten Kleid mit Hühnermuster entgegen. Ich war überzeugt, das war noch nie zuvor passiert. Ich schrieb lauter seltsame Dinge mit kleinen Details auf, und war sehr stolz darauf. Ich fertigte auch Listen an. Zum Beispiel schrieb ich die zehn besten Menschen der Welt auf. Ich fügte hinzu, warum sie die besten Menschen waren, was sie taten, tauschte die Positionen aus. Es waren Menschen wie Gandhi, aber auch Kinder, die einfach nur eine Klasse weiter waren. Am interessantesten war dabei für mich, was sie taten, wenn sie versagten. Ich versuchte regelrecht die Kunst des Versagens zu lernen.
Z: Mit fünf?
Da war ich allerdings schon fünfzehn. Erst später fand ich heraus, dass es gar kein Versagen gibt. Brian Eno lehrte mich, niemals wegen eines Fehlers deprimiert zu sein. Ich neige eher zu Depressionen und bin wirklich froh, Leute zu kennen, die aus jeder Situation etwas zu machen verstehen.
Z: Kann man insofern die Eingangszeilen von dem einzigen weißen Wal im Ozean als Analogie dafür verstehen, dass jeder Mensch dieser Wal in seinem eigenen Ozean ist, sofern er nur herausfindet, wo sein Ozean ist. Der Song funktioniert wie eine riesige Hafeneinfahrt in das Album.
Die Reihenfolge der Songs wurde im letzten Moment umgestellt. Der betreffende Song sollte eigentlich am Ende stehen. Meine Hoffnung war jedoch genau, dass dieser Song eine Kurzbeschreibung dessen wäre, was auf dem Album passiert. Die meisten Menschen suchen doch nach denselben Dingen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, sie alle sind auf der Suche nach derselben Sache. Nach Glück. Nur die Wege zum Glück sind höchst verschieden. Mit diesem Song können sich sehr viele Menschen identifizieren. Ich selbst habe eine ganz andere Beziehung zu dieser Platte als zu den letzten. Normalerweise will ich nach Veröffentlichung eines Albums so schnell keine weitere Platte machen, sondern mich lieber meinen visuellen Projekten widmen. Diesmal habe ich das dringende Bedürfnis, sofort eine neue Platte in Angriff zu nehmen.
Z: Ich habe oft darüber nachgedacht, in welchem Zusammenhang deine Musik und deine visuellen Kunstwerke stehen. Als du über das Licht von New York sprachst, fiel mir auf, dass deine Musik vielleicht viel mehr mit den Farben Edward Hoppers zu tun hat.
Das Licht in New York ist ganz einzigartig. Es scheint irgendwie transparenter zu sein als anderswo. Mein Studio liegt wie gesagt am Fluss. Seit ich mit Brian Eno gearbeitet habe benutze ich den Fluss für meine Arbeit. Wann immer ich aus dem Fenster schaue, sieht der Fluss ein wenig anders aus. Aber da ist ständig etwas in Bewegung. Wenn ich auf den Fluss schaue und die Musik nicht mit dem Fluss korrespondiert, weiß ich, dass etwas nicht stimmt. Unser Slogan war immer, if it goes with the river, it goes on the record. Der Fluss verändert ständig seine Stimmung. Wie ein Baby, das 500 Stimmungen in einer Minute hat. Er ist ständig in Veränderung, aber es ist niemals langweilig. Der Fluss war wie ein Barometer für die Platte.
Z: Oft klingt die Platte wie ein Dialog mit der Stille. Wie kam diese Reduktion zustande?
Ursprünglich steckte noch eine Menge mehr in der Musik. Wir haben so viele Parts aufgenommen. Doch als ich über die Form nachdachte, wollte ich nichts nur aus Gründen der Dekoration dabei haben. Ich nahm alles hinaus, was die Musik nicht unbedingt brauchte. Am Ende war die Struktur ganz anders als am Anfang. Ich mag es, so viel Luft zu hören. Ich wollte die Resonanz der Saiten hören.
Z: Deine Texte funktionieren ganz ähnlich. Du deutest mit wenigen Worten einen Gedanken an, schreibst dem Hörer aber nicht vor, in welche Richtung er zu gehen hat.
Es ist immer besser, auf die Imagination zu hören, als Wort für Wort jemandes Geschichte zu folgen. Wir Künstler machen uns ja sowieso ständig zum Teil von jemand anderem. Insofern ist es besser, ein wenig Raum zur Bewegung zu lassen.
Z: Dein Instrumentalstück klingt auch wie ein Lied mit Text, der nur nicht gesungen wird.
Genau dies war die Intention dieses Stückes. Es gibt einen Gedanken vor, macht ihn dann ein bisschen aggressiver und danach ein wenig melancholischer. Das funktioniert wie eine Short Story ohne Worte. Ein kleiner Plot mit ganz wenigen Charakteren, und schon ist es vorbei.
Z: In dem Song Broken sagst du: Silence can be a beautiful thing / But only when it can be broken with a kind word with a soft word / Our love unspoken. Das klingt für mich wie die Quintessenz deines gesamten bisherigen Schaffens.
Das ist der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe. Die Worte kamen eher intuitiv, aber in der Tat bin ich der Meinung, Menschen lernen mehr in der Stille als wenn sie reden. Wir denken, wir erhalten all unsere Informationen über den Austausch von Wörtern. Dabei erfahren wir über einen Menschen viel mehr, wenn wir ihm in die Augen schauen. Kommunikation bedarf nicht unbedingt der Worte. Deshalb sind ja Computer so dumm. Stille ist für sie gleichbedeutend mit Nichts. Digitale Stille gibt es in der realen Welt nicht. Und analoge Stille ist immer angefüllt mit einer Fülle von Dingen. Wenn viele Menschen schweigend zusammensitzen, fahren sie sofort ihre Antennen aus.
Z: Es gibt ja auch diesen Zustand der kreativen inneren Stille. Man braucht nicht unbedingt externen Krach, um innerlich voller Lärm zu stecken und sich nach innerer Stille zu sehnen. Erst wenn wir diesen Zustand erreicht haben, wissen wir, was wir wirklich brauchen. Und wie du im Text von Broken sagst, ist es meist Liebe.
Ich habe eine Kanu-Reise nach Utah unternommen. Die Idee des Unterfangens bestand darin, zwei Wochen in absoluter Stille zu verbringen. Einer der Beteiligten begann jeden Abends zu sprechen, aber niemand reagierte auf ihn. Statt dessen hörten wir die Berge sprechen. Manchmal können Gespräche heilend sein, aber auf mich wirkt die Stille viel heilsamer.