Unter all den Artists, die sich im diesländischen Reggaebiz so tummeln, sind wahrlich nur wenige, die selbstbewußt eine derartig lange Legendenschleppe hinter sich her ziehen können, wie Richard Alexander Jung aka Ritchie Senior aka Dr.Ring-Ding. Eine, die eben mehr als 12 Jahre bis zu El Bosso & den PingPongs reicht, und damit eben auch zu einem Meilenstein von Reggae bzw. in diesem Falle Neu-Ska in TwoTone-Nachfolge po nemecku („Ska, Ska immer nur Ska...“!- checkt das Lebenswerk auf „Komplett“, Vielklang), was auch gleich an eine aktuelle linguale Tanzhallendiskussion andockt, bei der unser Doc ganz (all-)gegenwärtig seine Rolle hat, aber dahin sei später der Bogen gezogen.
El Bosso & Die PingPongs, das war noch Ende der 80er und uns Ritchie war zwar optisches Hauptmerkmal neben dem Sangesknaben und tonführend als Posaunist, aber dieses Korsett wurde wohl irgendwann zu eng, ein „big man“ braucht Platz, Spielraum sozusagen. Seit 1993 steht er nun jedenfalls als Dr.Ring-Ding im Ring der umkämpften Aufmerksamkeit und irgendwie auch den Senior Allstars vor, zumindest jene grundunerschütterlich hinter ihm. Was heißt stehen: swingen, pumpen, jazzen- eine feste Reggae-Burg ist diese Riddimsection, die versiert auch genauso „allein“ Platten macht, letztaktuelle ist „Nemo“, wie als federnde Grundlage für revitalisierte Legenden wie Lord Tanamo, Daureen Shaffer oder Dennis Alcapone fungiert. Wir haben es hier also mit Seniorenallstars zu tun, die mit noch viel mehr Senioren- mäßigeren Ska/Reggae- Legenden arbeiten dürfen, dazu fallen mir gerade nur schwer zu kombinierende komische Worte wie Ehre und Verantwortung ein (kombiniert euch selbst was...).
Dem enzyklopädischem Wissen um karibische Musikhistorie in diesen Kreisen entsprechend, hat natürlich auch die Namensgebung ihre Fundiertheit, sie speist sich aus dem Song: „Doctor Ring-A-Ding“ von Al Roland & The The Soul Brothers, also Post- Skatelites mit Roland Alphonso in Führungsposition, eine Coverversion des Alvin Cash & The Crawlers- Titels "Twine Time" von 1965, ein mittlerer Studio One- Hit aus dem Jahr 1966, also ungefähr kurz vor Rocksteady.
Mehrfach paralleles Agieren ist aber nunmehr des Doc Geschäft, eines, bei dem sich Kreise schließen (oft genug zumindest) und wechselseitige Ergänzungsvorgänge in Betrieb sind. Hier wird in hiesiger Perspektive karibische Musikhistorie stetig aktualisiert, zu der RnB-, Soul-, Jazz- oder HipHop- Einflüsse immer dazugehörten, die natürlich auch bei den Senior Allstars verschiedenste individuell verteilte Geschmacksvertreter wie -einspeiser haben, hier wird innovativ ein ständig erweiterter Mikro-Kosmos an Sound in groovy Kombination gebracht.
Eine Mehrfachparallelität, bei der sowohl Reggae- Styles oder -Subgenres ineinander geführt werden als eben auch eine, bei der auf verschiedenen Ebenen nebenher gearbeitet wird. Verschmelzungspolitik- und für Ring-Ding ein ganz natürlicher Vorgang, es wird nur öffentlich, was sowieso immer präsent war, denn:
„Die Entwicklung ist bei mir, dass ich nun mache, was mir auch immer schon gut gefallen hat. Jamaikanische Musik generell, mit all den Ablegern. Das fängt an bei karibischem Rhythm&Blues, auch Ska genannt, ursprünglicher Musik wie Mento, oder Calypso aus Trinidad, und geht dann bis hin zum modernen Reggae, zum Dancehall. Das, was man veröffentlicht, ist, wozu man die Möglichkeit erhält. Wenn es die gäbe, das ich ein Album mit Calypso-Liedern aufnehmen könnte, würde ich mich auch drüber freuen.“
Diese Möglichkeiten gibt es nun, auch der HipHop-beförderten Reggae-Biz-Entwicklung sei streng ambivalenter dank, immer mehr, und stilistisch offene Vielseitigkeit gehört im Reggae ja eigentlich zum Grundgesetz:
„ It´s all reggae music. Das ist das Schlagwort, das man von jedem Jamaikaner hört. Ob man nun Calypso-Lieder von Lord Creator oder Lord Tanamo hört oder Prince Buster-Ska oder Tommy McCook-Rocksteady oder UB 40 oder Bob Marley oder Elephant Man... Ich begrüße das jetzt natürlich sehr, dass offensichtlich alles toleranter und offener geworden ist, dass mehr Verständnis für verschiedene Sachen da ist. Was in anderen Ländern schon immer gegeben war, in Frankreich hatte man das Problem nie, dass die Leute, wenn Stile und Genres gemischt werden, dann mit Unverständnis reagieren, da ist man erstmal aufgeschlossen.“
Das dies nun auch hierzulande tiefer in Bewußtsein und Tanzhalle dringt, sollte eigentlich für tiefe Befriedigung sorgen, man versteht sich zwar nicht unbedingt als „Teacher“, aber eine derartige Titulierung könnte schon ihre Berechtigung haben, zumindest vor dem Background der Skaszene, in der anfangs teils Unverständnis herrschte ob der Toastingeinlagen, und aus der heraus man sich langsam entwickelte, meint auch: zur Kunst der Langsamkeit entwickelte, weg vom Neu-Ska- Hochgeschwindigkeits-uffta-uffta und hin zu entspannter Rocksteady/Reggae- Gepflegtheit, hin auch zu urtraditionellen Werten im Ska, zu jazziger Instrumentale, aber genauso hin zu späteren Reggaeinnovationen wie Dub und schließlich eben auch Dancehallvariabilität (wiewohl nicht zu vergessen ja eigentlich all dies Dancehall ist, nicht zuletzt im Sinne des Ortes der Zelebration, verwiesen sei auf ein Album wie „Dancehall 63“ mit King Stitt- auch wenn dieses 30 Jahre später in einer nachgestellten Session den Stil dokumentiert, wie er im Jahre des unserem Helden den Namen spendierenden Tracks, s.o.... passierte). Wenn es hier auch bei weitem nicht um sinnlos legendenbildende Lehramtszuschreibungen geht: eine ähnliche stände wohl genauso den Herren Topp von Messer Banzani zu- womit wieder ein Kreis abgezirkelt wäre, schließlich ist die (in diesem Moment des Schreibens) aktuellste Solo-7“s vom Doc eine auf dem brandneuen „Geisha“-Riddim, erstellt vom Pionear aka Lanity aka Leander Topp, eben Ex-Banzani, nun Topp Entertainment und Germaican Records: eine weitere sehr lange Story, gleich nebenan in diesem Heft.
Das Szenen, auch meinetwegen im ausschließenden Hardcore-Verständnis, ihre Bedeutung haben, steht dabei außer Frage, irgendwo muß die Sache ja ein Standgewicht abseits modischer Fluktuation haben, und nicht zuletzt in diesen Zusammenhängen gilt, das von dort auch der absolut notwendige Respekt für die Foundation kommt, auch in dem Sinne, dass (Szene-) mensch halt zu den Konzerten von jenen Altstars geht, mit den Ring-Ding und The Senior Allstars so touren, seien es nun Dennis Alcapone, Derrick Morgan oder Lord Tanamo, was jenen eben auch ein Überleben und spätes Partizipieren am Ruhm der vergangenen Zeiten bedeutet, in denen ja schließlich allzu oft die Biz- übliche Abzockerei vorherrschte. Das es zudem oft genug perfektestes Entertainment von den alten Herren wie Damen gibt, dürfte sich ja hoffentlich schon ´rumgesprochen haben.
Neben die langjährig bewährte und mit dem aktuellen Album „Big Up!“ bereits vier Alben schwere musikalische Seelenbrüderschaft mit den Senior Allstars, die ich mir oft genug noch etwas besser/fetter/wärmer produziert gewünscht hätte, zu denen aktuell auch noch ein vom New Yorker Produzenten und Musiker Victor Rice (u.a. New York Ska Jazz Ensemble, Stubborn Allstars, Scofflaws...) gemixtes Dub-Album von „Big Up“ hinzukommt, das wunderbar die Potentiale von „Big Up!“ auslotet und auf neue Ebenen katapultiert, schiebt sich nun seit geraumer Weile ein exponentiell anwachsendes Aktiv-Sein als Soloartist auf verschiedenen Bewegungplateaus, das vom Duett mit Mr.Skinhead- Reggae himself Derrick Morgan über Mitwirkungen am Album der New Yorker Stubborn Allstars oder Zusammenarbeiten mit H.P.Setter, besonders schön bei der recht klassisch orientierten Dubscheibe „Big T´ings“, bis natürlich zu 7“- Tunes und dann zuletzt eben als Einzelperformer im geschmacklich entferntesten Falle auch zu den ebenfalls münsteranischen H-Blockx führen konnte/kann. Im performativen Solo- Normalfall bleibt´s dann aber doch (zumeist) bei Sound System-Stage Shows- u.a. mit Ba Ba Boom aus Münster, Culture Rock aus Düsseldorf, Small Axe aus Aachen, Lucky Punch aus Stuttgart, den Kölnern von Kingstone...- und Dubplates-Specials, und all das ergänzt bzw. bedingt sich im Idealfall gegenseitig: „Wenn ich mit Sound Systems was mache, dann natürlich auch Songs, die ich mit der Band gemacht habe, und wenn ich da neue Sachen mache, die ja Freestyle sind, merke ich mir, wenn was Interessantes dabei ist, und bringe das in die Band ein. Auf dem neuen Album sind zwei Stücke drauf, „Big Up“ und „Ruckumbine“, die so entstanden sind, dass ich Specials gemacht habe und dann dachte, das wäre schade, wenn man das nur einmal als Special gemacht hätte. Wir haben dann Songs draus gemacht, natürlich mit eigenem Riddim, und die Bläser machen ihre horny lines noch mit rein...“ Normalidealfall.
Zu dem im Sinne von einziehender Normalität auch (wieder, s.o.) das Texten in Deutsch gehört (auf „Big up“ gab es übrigens auch Französisch- Einlagen, man wuchs ja schließlich auch zweisprachig auf...), Kommunikation ist Hauptstichwort inna di dancehall, und wer Dr.Ring-Ding je gut aufgelegt live sah, weiß um den schwer entertainenden Wert dieses Aspekts, da werden Ansagen schon mal, wie diesjährig sehr schön im einheimischen Klex zu erleben, über legere Verbalspielereien mit Publikum und natürlich innerbandliches Spezialsprech auf mehrere Minuten gedehnt, bis auch der letzte Witz untergebracht ist. Scheu vor wortgewandter Konfrontation gibt´s da nicht, störenden Dumpfbacken wird der ironische Spiegel vorgehalten, man ist diesbezüglich über die Jahre sicher auch einiges gewöhnt- und auch hier vor Ort gab es bei den zwei bis dato zu erlebenden Auftritten ein paar Szenen, die noch heute zum retrospektiven Schmunzeln anregen können, wenn ich da nur an das letzte Pariser-Festival denke, 1997 wegen Unwetters ins seelige AJZ (das spätere Cafe Quarks) verlegt, der Auftritt Seite an Seite mit den neodubbistischen Bush Chemist (man konnte Ritchie in fast schon schüchterner Fan-Rolle erleben) und den Rasenden Leichenbeschauern (wenn das kein Mix war!!!).
Der ansprechende Wert der Verständlichkeit im direkten Ansprechen wie -singen ist angesprochen, einer, der bei jamaikanischen Tunes auch ein schmerzlicher sein kann, so man nicht weghören kann:
„Die Fähigkeit zum Weghören habe ich schon, aber vor allem auch die Fähigkeit zum Hinhören. Ein paar Sachen sind indiskutabel, unterstütze ich auch nicht... Sizzla-Alben kaufe ich nicht z.B. Wenn einer eine negative Botschaft hat, habe ich keinen Spaß dran. Die Frage ist, was eine negative Botschaft ist. Wenn einer sagt, killt alle schlechten DJs, dann finde ich das lustig, deswegen höre ich mir auch unheimlich gerne Cutty Ranks an. Aber wenn einer sagt, dass alle Lesben erschossen werden sollen, dann kann ich da noch nicht einmal mehr drüber schmunzeln.“ Soweit Statement, soweit Klarheit- die es in der genreinhärenten Widersprüchlichkeit immer neu auszuloten gilt bzw. gälte: vielen ist das wohl zu anstrengend, ein Stück hüftorientierte Denkfaulheit mag ihre Zusatzrolle haben, ganz schlimm am Ende gar der Vorwurf des Spassverderbers (oh, wie asozial in der Funsociety!).
Mit dem heimatsprachlichen „Vom Vater“ auf dem erwähnten Geisha-Riddim ist ihm nun ein toller Überraschungssieg gelungen, denn hier mußte er sich gewaltiger Konkurrenz erwehren, the mighty Sizzla (dessen Alben er ja nun nicht kauft... aber sicher kennt) dröhnt barbeißerisch löwenartig gleich nebenan in der Juggling- Selection, jedoch dem Doc kann in derartig legerer Weise wie hier wohl keiner, und stilistische Vergleichbarkeit ist da sowieso schwer machbar, das spielt sich auf einem Eigenfeld ab: ironisch wie ernsthaft – und daher wirklich unpeinlich- wird hier auf bestechende wie eingängige Weise (patriarchale) Religion thematisiert, ansatzweise Bibelfestigkeit bewiesen, zudem gekonnt mit gelooptem „Java“- Zitat (bitte unter Augustus Pablo oder Randy´s All Stars nachschlagen/hören) der weite Style- Bogen von den Früh-70ern zur minimalistisch kickenden Dancehallgegenwart geschlagen, gerade so, wie es ihm und Produzent Pionear eben auch zusteht. Coole Schnittmenge nenne ich das! Coolverschnitt mit hoher Verlässlichkeitquote, stilistisch eben oft genug „Alte Schule“, so zwischen Cutty Ranks und Macka B, gern auch noch weiter zurück, gern aber auch on stage als Zitatecollageur bis zum kurz en Bounty Killer´esken Wortgegurgel oder gar nuschelnderweise als äußerst gelungener Gregory Isaacs- Imitator, wie auf der HP Setter- Produktion „Riddim on Exile“. Und vor allem eben mit hohem Eigenwert, und das zählt ja wohl vor allem. Oder? Oder wieviel Klischee, wieviel Pseudo- Jamaica-Abklatsch darf es sein, „ihr Beinahharten, all ja all...“ (B.P.)?!
Also, nicht vergessen: wenn es „Fever“ braucht, immer den Doctor rufen!