Emil Biljarski, gebürtiger Bulgare, über das Studium nach Budapest gekommen und dort „hängengeblieben“, ist Keyboarder und Samplermann bei Korai Öröm, noch viel mehr aber deren Manager, der rettende Anker in der Realität, die helfende Hand, die versucht, all die unzähligen Fäden zu halten und lenken- was natürlich nicht immer gelingt. Der Ruf einer chaotischen Band eilt ihnen so schon fast unweigerlich voraus und wird bei Nachfragen von allen bestätigt, sei es Tamás von Trottel/ Trottel Records, wo Korai Öröm 1994 ihre erste Kassette veröffentlichten, oder Henning Kuepper vom Lollipop Shop Label, wo vor kurzem eine Vinyl- Compilation der Korai Öröm´schen Werke als „Edited Versions 1994-1997“erschien. Kopfschütteln, leichter Sarkasmus und Seufzen allerorten. Und auch ich könnte da meinen Teil an Erfahrungsschatz beitragen: all die stressigen Querelen mit ihren Liveauftritten in Greifswald, die Schwierigkeit, die Herren trotz Ankündigung des Kommens lange im Voraus dann innerhalb einer Woche Aufenthalts in Budapest anzutreffen..., aber wem soll dies was bringen, denn was sich schließlich darin an Charakteristika andeutet, kann letztlich nur unter gewagten interpretatorischen Serpentinenfahrten auf den Sound der Band projiziert werden. Ob, wer das wagt, dann auch gewinnt, sei bezweifelt. Nehmen wir es also lieber leicht pathetisch und sprechen von einem letztlich unergründbaren Wechselspiel von Chaos & Schöpfung.
Das unstete Element, die Vitalität, die zur überbordenden Unordnung neigt, findet sich jedenfalls in vielfältiger Weise bei Korai Öröm wieder, wenn man es hören will- denn man hört es nicht per se. Zu stimmig sind mittlerweile die Inszenierungen, als daß die kreativen Kontraste, die ihnen zu Grunde liegen und von denen Korai Öröm seit 1988 leben, offenbar würden. So ist schon die alte, ungeliebt geliebte Tätigkeit der Rubrizierens bei Korai Öröm eine Qual, die viel Wahl hat, ohne je zum eindeutigen Fokussieren des sich vielteilig auf unterschiedlichsten Ebenen bewegenden Sounduniversums zu kommen. Neo Ethno Psychedelic wäre meine Variante, gerne könnte man auch Synonyme/ Attribute wie Ambient, Tribal, Urban Folk, World... aus den Schubladen ziehen, die Band würde es gelassen hinnehmen und sich ihren Abstand denken, sicher mit einem guten Schuß Ironie. Jedenfalls verstehe ich so die bandeigenen Aufkleber: „Welcome To The Hippie Future“. Oder darf man hier direkt übersetzen? Bzw. muß gar (leider)?! Das coole Posieren der Band auf ihrer dritten und bislang letzten CD mit angeklebten großen Magyaren- Schnurrbärten ist meinem Verständnis nach auch so ein ironischer Seitenhieb auf eventuelle folkloristische Betrachtungsweisen. Anhaltspunkte sind jedenfalls rar und Hinweise liefert das Bandkollektiv kaum, Emil Biljarski beläßt es bei der Bemerkung, es gäbe „zwar keine Regeln, aber Prinzipien“. Sagt´s und verschwindet ohne weiterreichende Erklärung, um ganz praktisch eines der zahlreichen Probleme zu lösen. Sprachlosigkeit bzw- verweigerung darf wohl als ein Prinzip angenommen werden. Keine der Veröffentlichungen von Korai Öröm hat eine Betitelung, das gleiche trifft für alle Songs zu. Außerdem gibt es kaum menschliche Stimmen auf ihren Werken zu hören, und wenn, dann wird gelautmalt, geschrien oder gar tuvischer Kehlkopfgesang aus dem Hals geklopft. Der Rhythmus steht für sich, die Energie soll sprechen, keine Rückversicherung nötig- oder machbar. Was an Symbolik greifbar ist, deutet in alle Richtungen, wirft aus den unterschiedlichsten Kulturen Anrisse ins Gesamtbild, ob es eine beliebige Wüstenei, arabische Lehmstädte, indische Tempelfresken, orientale Teppichornamentik, tibetische Klöster, christlich orthodoxe/ byzantinische Ikonen, Rikschas oder einfach nur verschiedene Gesichter aus allen Erdkreisen sind. Eine spirituelle Note ist dabei unverkennbar, jedoch nie zu fixieren, eine gewisse Fernöstlichkeit dominiert aber doch etwas, was irgendwie auch nicht verwunderlich- oder?! Wir fuhren jedenfalls mit lautem indischen Bollywood- Soundtrack durch den Budapester Nachmittagsstau unter wohliger Hitzequal und natürlich will man- in diesem Fall Bassist Kilian, auch unbedingt mal nach Indien.
Undifferenzierter Kultureklektizismus mit Hippieklebrigkeit wäre eine, zugegeben äußerst bösartige Variante der diesbezüglichen Deutung, die zutreffendere wäre aber, das Ganze als offenes Prinzip zu verstehen, in welchem in der Reihung die Wertung liegt, die da auf Gleichberechtigung, tiefe Sympathie und ein Stück (wie auch immer reflektierte) Sehnsucht anhebt. Und in diesem Sinne die Dinge überträgt in den eigenen Klangkosmos. Der da genauso von Elementen aus diversen, durchaus auch urban- kontemporären „Folkkulturen“- im Sinne von Ursprünglichkeit und Direktheit- geprägt wird wie von der groovenden Moderne, einen Kompromiß, eine Verschmelzung, eine Neusubstanz erarbeitend. Auf der Grundlage von Rhythm & Sound. Bleiben wir bei Ersterem: Multiperkussivität ist ein Schlüssel, mindestens drei Perkussionisten und ein Drummer akzentuieren die meist überlangen Instrumentals, geben Tempo, Richtung, Druck, der gerne von einem wuchtigen Bass unterstützt wird, was die Sache ab und an grundlegend dubverdächtig und in diesem- wie in jedem rhythmischen Sinne- remixkompatibel macht. Oder anders: das schreit nach Remixen! Die auch schon in Arbeit sind, natürlich remixt man sich zuerst selbst bzw. läßt Freunde Kontributionen einwerfen. Schließlich ist jedes Werk innerhalb der Gruppendynamik nur eine Variante, gehen die Vorstellungen über den Endsound oft grundsätzlich auseinander, so es diesen überhaupt gibt: live verändern sich die Stücke ständig, mäadern um einen festen Kern, der aus dem multiinstrumentalen Spektrum bestückt wird, aber auch mit Überfülle erdrückt werden kann. Wahrscheinlich entstehen die Stücke aus langen Improvisationen, aus denen sich der Charakter herausschält, der dann ausgelotet wird... jedenfalls hören sich die frühen Stücke nach dieser Arbeitsmethode an, die da auch auf die Rasenden Leichenbeschauer (VHK), den von mir gerne hergestellten Béla Bartok- Zusammenhang (Kreation aus der Unbewußtheitlichkeit heraus- Urfolk ohne Pattern...) oder die Folkmethode von David Thomas (Pere Ubu) verweist, ohne das dies unbedingt noch eine Rolle spielen muß. VHK- Vergleiche kann die Band jedenfalls locker mit dem Verweis auf die Involvierung von Dancekultur abwehren, allerdings ist ein gewisser Spacerockappeal partiell nicht aus dem Sound zu weisen, besonders wenn sich Restrock- Elemente mit rhythmischer Wucht paaren, kommt auch bei mir die Erinnerung an die abgedrehtesten Improvisationsparts der Leichenbeschauer hoch, wie bei einem der anscheinend bekanntesten Tracks von der zweiten Korai Öröm- CD; den Stellenwert deutete ich aus der Publikumsreaktion während des diessommerlichen Sziget- Festivals in Budapest, wo Korai Öröm übrigens zwischen Boney M [sic!] und Goldie auf der Main Stage spielten. Stichwort Verwandtschaft/ Bezüge: ohne viel überinterpretieren zu wollen, ist es wohl doch kein Zufall, daß es vergleichbare Bands fast nur in Osteuropa zu geben scheint, heranzitiert werden da gerne die phantastischen polnischen Folk- Psychedelics Atman, die bei weitem nicht die einzige polnische Band dieser Art darstellen, sowie Ole Lukkoye aus St.Peterburg, deren Erscheinungsbild noch bedeutend ähnlicher wirkt, bei denen allerdings der Gesang nicht vernachlässigt und der Hippiebezug im Spannungsfeld von Out of „Reality“- Anachronismus und annähernder Goa/Trance- Neo- Esotherik sehr wohl ernst gemeint scheint. Die Behandlung von Folk/World- Kultur in Ungarn ist da noch ein Thema für sich, neben den ideologisch auf´s Schamanistisch-Magyarische rekurierenden Bands wie eben VHK oder die Free Jazzer vom Dudas Dresch Quartett gibt es da ja noch eine Anzahl Bands, bei denen dies als Grundidee, in offensichtlichen Details oder unterschwellig mehr bzw. weniger durchscheint, von Kampec Dolores über Lois zu Üzgin Üver..., etwas mehr dazu siehe Zonic#9 (Bahia Records/ Kampec Dolores). Auschecken, bitte sehr.
Zurück zu Korai Öröm´schen Sounds´n´Rhythmen: straighte 4/4- Beats können hier genauso unter Ambientteppichen mit bunt schillernden Zitateinwebungen geschoben werden, wie Batucada- ähnliche Drumlawinen den Drive bestimmen oder Drum´n´Bass- Pattern einen Anschlußversuch markieren, dessen vielleicht noch nicht ganz erfüllte Paramater durch die Bedeutung im Soundganzen aufgehoben werden. Es geht hier schließlich nie, und kann auch gar nicht, um Purimus einer Form gegenüber. Den könnten sich die DJs leisten, denn auch dazu sind bereits vier Member konvertiert, die da die Korai Banditos bilden, aber was ich bisher von ihnen hörte, schloß in einem wilden Freestylegedanken alles Mögliche zwischen Tribal House, Big Beat, Drum´n´Bass und Dub ein, je nach DJ- Persönlichkeit unterschiedlich gewichtet natürlich, dem Grundprinzip nach meinem Verständnis aber im Wesen entsprechend als Fortführung mit anderen Mitteln. Die Ausponderierung macht´s, und die ist bandintern bei der Fülle an Klangelementen nicht immer leicht zu haben, neben den omnipräsenten Drummern wollen da schließlich auch Keyboardsounds und Samples, Trompete, Didgeridoo, Gitarre, Flöten, sowieso eine Unmenge an unterschiedlichen Holzblasinstrumenten- bedient vom „bandeigenen Schamanen Paizs Miklós“, der auch den Kehlkopfgesang beisteuert-, sowie Kleinstklangkörper aller Art gehört werden. Das kann sich schon zu einem erdrückenden Wall of Sound auswachsen bis zur erschlagenden Oppulenz, das hat Trancepotential bzw. „rockt“ irgendwie/ trotzdem. Was sich in der Weise eigentlich nur live nachvollziehen läßt, keine der Platten kann das dort verbreitete Feeling bisher annähernd wiedergeben- am ehesten in Teilen vielleicht die erste CD, als Überblick und Konzentration auf potentielle Höhepunkte auch die übrigens streng limitierte Vinylausgabe. Die Angebote auf Tonträger sind halt nur ein Anriß im offenen Prinzip der Entwicklung, Erlebnisreproduktion ist dabei sowieso nur für den jeweiligen Rezipienten authentisch und der Möglichkeiten sind viele, unendlich- oh Individualität und dabei doch: Egalität!-, die Band offeriert ihr Angebot ideal eben nur im Direktrausch des Dabeiseins. Engagierte Teilhabe lohnt sich, denn live wird Korai Öröm, das als Großensemble die technischen Mitglieder gleichberechtigt ausweist, zum Multimediaspektakel mit computergenerierter Livevideoshow, Diaprojektionen und möglichst viel bezaubernden Lichteffekten. Klassisches Gesamtkunstwerk im modernen Pop- Kontext, Erlebniswerkstatt, Medienzirkus- buntes Allerlei mit körperhaftem Schwung, Tanzenergie, Sinnesstromsynergie. Dem durchaus auch nachgeholfen werden darf (siehe oben). Auf gutes Gras kann sich die Band jedenfalls immer einigen, umso verständlicher die verzweifelte Trauer, ja Bestürzung, als dem armen Emil, der wieder einmal die Verantwortung tragen durfte, das gesamte für die Festival- Dauer eingerechnete Gras verloren ging, teurer Holland- Import- man wollte es besonders geschickt im Automotor auf den Festivalplatz schmuggeln, denn strenge Kontrollen der überaus unsympathischen Security- SA waren angesagt- und damit auch mal wieder eine Menge Geld sich nicht einmal in effizienten Rauch, sondern einfach in Nichts auflöste. So hatte man also fast zum Nulltarif auf der großen Bühne gespielt, bitter. Womit sich der Bogen geschlossen hätte.
Das Nicht- Funktionieren funktioniert hoffentlich immer weiter, allen Widrigkeiten zum Trotz, und vielleicht ist es ja irgendwie auch so ein Motor für das Weiterkommen, die notwendige Reibung, auf die Energie folgt, die schließlich auch soweit reicht, bisher alle CDs selbst herauszubringen. Der Band nun gleich „Viel Pech“ zu wünschen, soweit wollen wir den Irrsinn dann doch nicht treiben... aber weiß, ob die Band noch so gut wäre, klappte plötzlich alles.
Was wir natürlich im eigentlichen Sinne der Band, und speziell auch Emil Biljarski, aus tiefem Herzen gönnen würden.