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Dirty Three
Geschichten von Pferden

Elisabeth Nagy

Die Geige, eine Gitarre und ein Schlagzeug mehr brauchen Dirty Three nicht. Allein mit dieser Besetzung verzaubern sie ihr Publikum, jeder Art von Trend weichen sie dabei im großen Bogen aus. Ihre Wirkung auf die Zuhörer ist hypnotisierend, die Stücke ähneln ungeschliffenen Diamanten, rauhe Folkmelodien und wilde atonale Schwingungen bestimmen ihr Wesen. Warren Ellis an der Geige wirkt bei seinem Spiel selbstvergessen, sein Instrument besitzt zudem eine ähnlich vorrangige Stellung, wie zum anderen Teil das Melodien-trommelnde Schlagzeug. Die Songs weiten sich ins Unendliche aus, berühren zumindest den Horizont, wo immer ihn auch jeder einzelne sonst setzen mag, im Traum bereisen die Stücke ganze Landstriche. Einen konventionellen Aufbau sucht man vergeblich, besonders in den Konzerten atmet die Musik Improvisation. Ihre Konzerte sind etwas Besonderes, das hatte ich bereits in Kritiken gelesen, und Kollegen bestätigten dies mit einer Begeisterung in der Stimme die neugierig macht.
Auf ihrer letzten Tournee, im Oktober 1996, spielten Dirty Three in der Berliner Passionskirche. Also nicht wie hin, ich kam gerade recht zum Soundcheck. Da saß ich dann in einer der vorderen Bänke, und Warren Ellis spielte “Lili Marlen“ auf dem Akkordeon. Später während des Konzertes wiederholten sie es nicht, es gehört nicht in ihr Repertoire, doch Ellis liebt das Lied. Lächelnd verwirrte er mich mit dem Hinweis, daß er immer noch nicht wüßte, wer denn da unter der Laterne wartet. Der Soundcheck kam einem guten Konzert gleich, sie gaben alles, was sie hatten. Die Drei von Dirty Three halten normalerweise keine Proben ab, sie üben nicht. Da kann ein Soundcheck schon einmal eine Probe ersetzen (und dann aufregender als das eigentliche Konzert sein).
Die Geschichte von Dirty Three begann 1993. Warren Ellis lief damals einem Bekannten in die Arme, den er schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Der hatte sich gerade ein Hotelbar zugelegt, und da man sich soeben wiedergetroffen hatte, fragte dieser Ellis, ob er was zur Eröffnung beitragen könnte, musikalisch versteht sich. „ Wir kamen in meiner Wohnung zusammen, und innerhalb von einer halben Stunde hatten wir fünf Lieder geschrieben. Doch die Rolle des Sängers wollte keiner übernehmen.“
Man entschied, es ginge auch ohne. Sie machten sich auf, spielten auf dieser Eröffnungsfeier, ohne Gesang mit der größten Selbstverständlichkeit. Ihr erstes Publikum bestand aus vier Leuten, doch der Bekannte bat sie, öfter zu spielen. In den folgenden Monaten taten sie dies regelmäßig. Bis auf Erklärungen in diversen Interviews kam die Frage nach einem Sänger nie wieder auf. Statt dessen erzählt Warren Ellis dem Publikum Geschichten, über sich, über die Lieder, deren Hintergründe: „ Wir haben keinen Sänger, darum unterhalte ich mich mit dem Publikum. Ich möchte sie wissen lassen, daß unsere Songs von einfachen und ehrlichen Dingen handeln. Die täglichen Sorgen, die Liebe und all das, was nicht so recht klappt im Leben, all darüber geht es in den Songs.“ Irgendwo hatte ich gelesen, daß eine Platte für ihn einem Tagebuch gleichkommt: „Ich habe mal ein solches geschrieben, das tue ich nicht mehr. Meine Freundin, als sie mit mir Schluß machte, hat alle meine Sachen auf die Straße geschmissen. Ich habe alles verloren.“
Warren Ellis erzählt lebendig und phantasievoll. Ein kleiner Schalk sitzt ihm dabei im Nacken, so recht wußte ich nie, als ich ihm in die dunklen Augen sah, ob ich ihm nun ganz glauben durfte. Doch seine Erzählungen auf der Bühne machen das jeweilige Konzert wirklich zum einzigartigen, unvergeßlichen Erlebnis.
Vorausgesetzt, die Akustik stimmt, was in der Passionskirche leider nicht ganz so der Fall war, zumal die Kir-chenbänke überwiegend leer blieben. Der Funke zwischen Bühne und Publikum sprang nicht über. (Bruno Adams von der australisch-deutschen Band Once Upon a time begrüßte mich bereits beim Soundcheck, doch wo war nur die Berliner australische Gemeinde an diesem Abend? Wohl kaum bei dem gleichzeitig in der Deutschlandhalle stattfindenden Midnight Oil-Konzert?!)
Welcome to the church of Dirty Three: die Beleuchtung bestritten ca. 200 kleine, rotglänzende Friedhofslichter, die über die ganze Bühne verteilt waren. Warren Ellis tanzte wie ein Dervish, streckte und reckte sich, breitet die Arme weit von sich, zog dann immer wieder einen Buckel, warf sich zu Boden, und tanzte auch schon einmal einen griechischen Tanz. Seine erzählerischen Einwürfe setzten voll Pathos an, um dies sogleich mit geschärften Witz Lügen zu strafen. Dirty Three ließen sich Zeit. Um 22 Uhr hätte die Kirche wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden müssen, doch daraus wurde nichts. Ohne zwei Zugaben ließ das Publikum die Australier nicht ziehen. Und was als ziemlich steifes Konzert begann, artete in eine unchristliche Party aus. Drei Flaschen Whiskey hatte ich in der Sakristei gesehen, Warren Ellis brachte sie mit einer weltumarmenden Geste heraus, auf daß sie durch die Bankreihen wanderten. Schokoriegel, Bananen, die Reste vom Catering flogen durch die Luft und die letzten Colaflaschen machten die Runde.
Die dreckigen Drei, das sind Warren Ellis, Mick Turner und Jim White. Die Aufstellung deckt das Beste der australischen Musikszene ab. Warren Ellis spielte und spielt auch in Zukunft Geige bei Nick Cave´s The Bad Seeds. Er war Mitglied in der Band von Kim Salmon, arbeite mit Robert Forster, David Mc Comb, mit den Gruppen Busload of Faith und The Blackeyed Susans. Mick Turner war schon zur Geburtsstunde des australi-schen Punks ein Teil dessen. Er diente seine Zeit bei den The Moodist und The Sick Things ab, spielte Gitarre unter anderem neben Venom P. Stinger. Jim White wiederum ist einer der talentiertesten Schlagzeuger des Kontinents. In den meisten bisher genannten Bands leistete auch er einen Beitrag und so konnte er seine Dirty Three-Kollegen bereits bei Kim Salmon, Robert Forster und Venom P. Stinger kennenlernen.
Am stärksten besticht der Einschlag von Folkmusik in ihren Kompositionen. Warren Ellis nennt mir als Einfluß seinen Vater, einen Country- und Westernsänger, der ihm den Bluegrass nahe brachte und ihn die Geige lehrte. Doch auch eine Reiste durch Europa, vor acht Jahren, hatte bei Ellis Spuren hinterlassen: „Ich reiste durch Schottland und durch Irland, und ich war eine Zeit lang in Budapest. Ich spielte mit Fremden auf der Straße. In Ungarn bekam ich eine Flöte geschenkt. (etwas unsicher nennt er die furulya, es ist das einzige ungarische Wort, war noch kennt). Es war mein Lieblingsinstrument, bis es jemand zerbrach, leider, sie war so schön. Ich spielte mit einem Gitarristen und einem Typen, der ein dreisaitiges Geigenartiges Instrument spielte. Sie konnten kein Wort Englisch, und ich sprach kein Wort Ungarisch, also musizierten wir nur. Und in Budapest habe ich den unglaublichsten Geiger kennengelernt. Er war uralt und krank, während seines Spiels hielt er immer wieder inne, um irgendeine schwarze Masse auszuspucken. Sein Instrument wurden von kleinen Holzstücken und Klebeband zusammengehalten, es war wirklich ein sehr mitgenommenes Stück, und doch war sein Klang phantastisch. Ich saß den ganzen Tag bei ihm und hörte ihm zu, dann gab ich ihm all mein Geld, das ich noch in den Taschen hatte. In meinem ganzen Leben hatte ich noch keine so schöne Geige gehört.“
Im Austausch erzählte ich ihm von dem jungen ungarischen Geigenvirtuosen Félix Lajkó (siehe Zonic #8!), und in Gedanken ließ ich die beiden zusammen auf der Bühne stehen.
Ich gebe es ja zu, mein Interesse an Dirty Three weckte die Tatsache, daß sie bereits mit Nick Cave & The Bad Seeds zusammengearbeitet hatten. Warren Ellis hatte bereits auf der “Let Love In“-Platte bei zwei Stücken Geige gespielt, und bei den Aufnahmen zu den “Murder Ballads“ war er auch anwesend: „ Die Bad Seeds tourten in Australien, und wir waren Vorgruppe. Nick mochte unsere Musik, und nachdem ich bei Let Love In bereits ausgeholfen hatte, bat er mich auch, bei dem nächsten Album mitzuspielen. Inzwischen haben wir auch zwei Songs für die X-Files begleitende Compilation aufgenommen, und auch für das nächste Album, daß nächstes Jahr (also 1997) erscheinen wird.“ Nick Cave hat bereits auch die Unterstützung der ganzen Band erhalten. Als man Cave in London bat, seinen Lieblingsfilm zu bestimmen und vorzuführen, da nannte dieser den schwarz-weißen Stummfilm “La passion de Jeanne d´Arc“ des Dänen Carl Theodor Dreyer aus dem Jahr 1928 (von dem es übrigens erst seit Mitte der 80er Jahre eine rekonstruierte Kopie gibt). Dieses eine Mal verließ sich die Band und ihr Talent nicht auf Improvisationen. „Der Film ist zu schön, als daß wir es dann vermasseln. Wir trafen uns und für die 100 Minuten Musik probten wir drei Tage täglich 15 Stunden lang.“
Inzwischen ist aus Dirty Three eine Vollzeitbeschäftigung erwachsen. Eine Frage des Überlebens, sie brauchen das Konzerte, um das Geld für das tägliche Brot zu verdienen. Die letzten zwei Jahre verbrachten sie auf Tour. Amerika durchreisten sie gleich dreimal. Sie begleiteten Jon Spencer´s Blues Explosion, sie spielten im Vorprogramm der Beastie Boys, von Morphine und John Cale. Dann war da noch letztes Jahr die Loolapalooza-Tournee. Gerade kamen sie von einer sechs-wöchigen Amerikatour zurück in die Alte Welt. Beck war dabei die Hauptattraktion. Doch wie hat das Publikum die intimere, instrumentale Musik von Dirty Three aufgenommen?
„Ehrlich gesagt, verbindet uns nur die Liebe zur Musik mit diesen Gruppen. Bei der Tour mit Beck spielten wir jeden Abend vor 4000 Menschen, Beck ist dort sehr populär. An einem Abend passierte es, daß sich die eine Hälfte des Publikums, die uns mochte, mit der anlegte, die uns haßte. Sie beschimpften und verprügelten sich. Es war unglaublich. Ein anders Mal bewarf man die Bühne. Mir ist das ja noch nie passiert, aber da hatte ich größte Lust ins Publikum zu springen, und jemanden ordentlich zu treten. Das war in Tulsa, Honkytonk-Gebiet, Hank Williams trat dort regelmäßig auf, die Sex Pistols spielten dort auf ihrer ersten Tournee, Backstage konnte man Sid Vicious Namensgekritzel auf der Wand lesen. Man war uns förmlich raus, wir flüchteten aus der Stadt. Und dann kam der Tourpromoter mit 2 Flittchen an, die für 20 Dollar gestrippt hätten. Wir lagen vor Lachen fast auf dem Boden, das war so bizarr.“
Inzwischen hat man sich in London niedergelassen. Australien kehrten sie nicht endgültig den Rücken, doch in England suchen sie die Nähe von Freunden, auch ist es einfacher, von der Insel aus in Europa zu touren. Selbst die Plattenfirma der Dirty Three ist in London beheimatet. Big Cat veröffentlichte “Horse Stories“ und gleichzei-tig die ersten beiden Alben, “Sad and Dangerous“ (1993) und “The Dirty Three“ (1994) in europäischer Lizenz. Während Mick Turner und Jim White mit ihren nebenberuflichen Tätigkeiten in anderen Bands abgeschlossen haben, ist Warren Ellis weiterhin bei den Bad Seeds aktiv, die ja nun auch in London ihren derzeitigen Hauptsitz haben, und deren Tender Prey Management auch das ihre wurde. Warum sind dann Dirty Three nicht bei Mute Records? „Daniel Miller hat uns bei einem Nick Cave-Konzert gesehen, ich glaube das war in Griechenland, oder in Israel. Es hat ihn nicht so angesprochen. Die Leute von Big Cat waren bereits bei unserem ersten Londo-ner Konzert da, und sie interessierten sich von Anfang an für uns.“

Discographie:
1993: Sad and Dangerous
1994: The Dirty Three
1996: Horse Stories

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