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Dub Poetry

Christian Schwanz
Im Anfang war der Trommelwirbel.
Nun, sicher war’s zuerst einmal lange Zeit dunkel. Mit der Entwicklung von irgendetwas zu irgendetwas betraten schließlich wir Menschen den Erdball. Viel heller wurde es dadurch erstmal nicht.
Nach einer längeren Wegstrecke, mehr oder weniger in Schweigen gehüllt, machten wir uns die Lautsprache, später im Speziellen das Wort, zu nutze, um einander und uns selbst zu verstehen. Sprachen formten sich, Gedankenwelten eröffneten sich, der Mensch gruppierte sich. Sprache grenzt ab!
Ein paar Ecken weiter, fingen wir an, uns ständig umzudrehen, um dann dem anderen von den eigenen und geteilten Wegstrecken zu berichten, Vergangenem ein sprachliches Bild zu geben, um sich selbst so zum Bild zu machen. Geschichten von Erlebtem und Gegenwärtigem. Die Alten berichteten vom Weg der Gruppe. Die Jungen sicherlich von sich selbst. Zu erzählen hatte sich jeder was. Das Wort war im Anfang.
Auf der Suche nach dem Klang der Welt und unseres eigenen Klanges, suchten und fanden wir Klang in nahezu allem, was uns umgab. Spätesten dann fingen wir wohl auch an, auf Dingen rumzuschlagen, rumzuhämmern und ertönte so erstmals der Klang der Trommel. Heartbeat of the People. Kombiniere die Schläge und erzähl eine Geschichte! Forme deinen Rhythmus! Herz Schlag. Hör nicht auf, zu erzählen. Misch die Klänge - dein Wort, deine Stimme, ‘cause word, sound ‘ave powa.

Bald wurden die Geschichten immer länger und die einen begannen, alles lieber aufzuschreiben, zu fixieren. Die Geschichten brauchten wir uns nun nicht mehr zu erzählen, denn wer die Zeichen des Anderen verstand, erschloß sich dessen Geschichte. Ganz von selbst und ganz allein.
Der Mensch hatte schon längst damit begonnen, sich untereinander zu abzugrenzen und sich selbst selektieren. Muster gibt es viele.
Den einen nahmen wir die Freiheit, die Heimat und brachten sie in die „neue Welt“. Die meisten von ihnen mußten sterben, doch es waren immer noch genug, um als Sklaven auf den Feldern der „Herren“ zu arbeiten. Die Sprache der „Herren“, die Befehle, verstanden sie nicht, wußten auch anfangs nicht, sich untereinander zu verständigen, denn die „Versklavten“ holte man sich aus „aller Herren Länder“. So sprachen sie auch die unterschiedlichsten Sprachen, die sich zur selben Zeit untereinander mischten und neue primitive, auf das Nötigste reduzierte Verkehrsprachen -Pidgins - und später eigenständige Sprachen - Creoles - entstehen ließen. Auf Jamaika entstand aus einer großen Zahl vorwiegend westafrikanischer Sprachen und den „Herrensprachen“ Englisch, sowie Spanisch, die Sprache der ersten Besetzter Jamaikas, das Patois - Jamaican Creole,. Später kamen durch neue Einwanderer auch indische und chinesische Einflüsse dazu.
Weit weg von zu Haus blieben den Sklaven nur die Geschichten, Erinnerungen an Muttersprache und Heimatland, der Klang der Stimme, der Schlag der Trommel, dem ältesten Instrument der Menschheit. Die Trommel blieb ihr zentrales Fundament und Kennzeichen afrikanischer Herkunft. Ein Klang, der, statt auf den Kopf zu zielen, dich tief im Bauch trifft. Jeder versteht es. Jeder spürt es. Der Trommelschlag ertönte und rief sie zusammen, wie es bei uns mal eine Kirchenglocke tat. Der Schlag war meilenweit zu hören. Zeichen der Zeremonie. Rhythmus als everchangin’ heartbeat - nicht zwingend zu verstehen als „gleichmäßig abgemessene Bewegung; Gliederungen nach bestimmten Maß- und Tonverhältnissen; geordnet nach fallendem oder steigendem Metronom“. Ein heartbeat - oft nicht kontrollierbar, nicht zu halten. Trommelwirbel mischen sich mit Kaskaden aus Wort, Klang und Kraft. Klangbilder formen sich aus der eigens wahrgenommenen, momentanen Realität. Dieser Weg zum eigenen Klangbild erlaubt schließlich ein Verlassen der geteilten Wirklichkeit hinein in eine eigene unwirkliche Wirklichkeit oder wirkliche Unwirklichkeit.
Die neuen Sprachen formten sich weiter und besitzen schließlich eine eigene Grammatik und Linguistik und ein eigenes Vokabular. Die Creoles, wie das jamaikanische Patois, mußten einfache Sprachen sein, funktionieren. Im diesem Fall wurde Sprache auch zu Rebellion und Waffe. Der Trommelschlag konnte die Rebellen, die Maroons, entlaufene Sklaven, die in den Bergen Zuflucht suchten, zusammenrufen. Zwar versuchten die „Herren“, die Trommel durch Gesetzte auf Jamaika zu verbieten, aber die Rebellion schritt voran. Damals eine Rebellion gegen Sklaverei und heute allgemein gegen Babylon - Sinnbild des Krisenherdes westlicher Zivilisation, Symbol für Armut und Elend in den Ghettos, Brennpunkt eines Systems des Gegeneinander und der Unterdrückung. Babylon, nach europäischen Verständnis als „Sprachgewirr“ zu verstehen, ist vielmehr ein Ort auf einer Landkarte und ein Ort im Kopf eines jeden von uns. Babylon ist Symbol einer kollabierenden Leistungssystemgesellschaft, ist immanent - überall. Die Rebellion ist nicht Geschichte, sondern lebt weiter. Die Krieger sind die Dub Poets. Ihre Waffen - Word, Sound, ‘ave Power. Sie verkörpern den Marktschreier, den Propheten, den Priester, den Kranken, den Verbrecher, sich selbst und uns. Ihr Kampf zeigt sich in der Perfomance ihrer Poesie.
Die Tonalität der afrikanischen Ursprachen waren im Anfang und mit ihr die Rhythmsierung des Wortes. Auch mit der allmählichen, schriftlichen Verbreitung, kommt es nicht zu einer Normierung der Schriftsprache. Patois ist, wie alle Pidigns keine Schriftsprache. Sie soll sofort wirken. Jetzt gehört werden. Der Dub Poet kann nach der Performance versuchen, seine eigene Schreibweise, einen eigenen schriftlichen Ausdruck zu finden, in dem er sich von der herkömmlichen englischen Schreibkonvention löst, sich an die Grenzen der Lesbarkeit begibt. So auch die Poesie von Linton Kwesi Johnson, 1952 auf Jamaika geboren. Er gilt als absoluter Vorreiter der Dub Poetry. Bereits 1974 veröffentlicht er sein erstes Buch Voices of the Living and the Dead - ein Theaterstück in Versform, Poesie verbunden mit Reggaerhythmen. 1975 erscheint sein Gedichtband Dread Beat & Blood. Er ist auch der erste Dub Poet, der seine Gedichte auf einem Tonträger veröffentlicht. 1978 erschien sein Album Dread Beat & Blood. Das Poem Reggae Sound begibt sich an diese Grenze der herkömmlichen, englischen Schreibkonvention. Der Leser und vielmehr der Hörer spürt den immanenten Rhythmus der Worte. Ein weiterer im Bunde ist Martin Glynn (Doctor G.), 1957 in Nottingham geboren und somit englischer Herkunft. Seine Poems, De Ratchet a talk, erscheinen bei Aikra Press. Sein Ghettology erzählt von der Straße, vom Ghetto, von psychologischer Zerstörung, führt, wie Linton K. Johnson, die antibabylonische Tradition fort.

LKJ: Reggae Sounds
Shock-black bubble-doun-beat bouncing
rock-wise tumble-doun sound music;
foot-drop find drum, blood story,
bass history is a moving
is a hurting black story.

Thunda from a bass drum sounding
lightning from a trumpet and a organ,
bass and rhythm and a trumpet double-up,
team up with drums for a dep doun searching.

Rhythm of tropical electrical storm
(cooled doun to the pace of the struggle)
flame-rhythm of historically yearning
flame-rhythm of the time of turning,
measuring the time for bombs and for burning.

Slow drop. make stop. Move forward.
dig doun to the root of the pain;
shape it into violence for the people,
they will know what to do, they will do it.

Shock-black bubble-doun-beat bouncing
rock-wise tumble-doun sound music;
foot-drop find drum, blood story,
bass history is a moving
is a hurting black story.


Doctor G: Ghettology
is de name of de game
Psychological destruction
inflict de pain
dat run down yuh life
an tun yuh insane
tun yuh inside out
an empty out yuh brain
Ghettology style
Ghettology style.

It mash up yuh head
destroyin every cell
where de life yuh live
is one pure hell
where deres too much noise
an nasty smell
where de crimes rates high
prostitution as well
Psychological destruction
is lickin every man
because dem nah no plan
dem mind get unbalanced
dem dash dem in de van
an tek dem mental hospital
go gi dem brain scan.
Psychological destruction
Psychological destruction.

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