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Good news from India?

Hagen Hopf
Nach all den schlechten Neuigkeiten, die Nachrichten vom indischen Subkontinent derzeit prägen - Naturkatastrophen, euphorisch gefeierte Atomtests und nicht zuletzt der um sich greifende blinde Patriotismus und Fanatismus nach den Wahlerfolgen der rechtsradikalen, hindu- nationalistischen BJP - trotzdem noch über Indien, noch dazu in ganz anderen Zusammenhängen zu berichten, muß entweder eine von Ignoranz gelenkte Anmaßung sein oder rührt von zuviel Reisezeit, zu vielen Bangh- Lassies und zuviel Begeisterung für indische Film- und Popmusik her. Dazu kommt noch, wie sich zeigen wird, daß sich Religion und Nationalismus in diesem Land auch nicht von Popkultur trennen lassen. Wie dem auch sei (und dem ist so), es lassen sich auf jeden Fall zahlreiche Neuheiten auf dem indischen und indisch geprägten Musikmarkt verzeichnen, die nicht nur bemerkenswert sind, sondern – zumindest teilweise – im Namen von Fun-Da-Mental, Bally Sagoo, Asian Dub Foundation, Talvin Singh und anderen seit Jahren über Migrationswege (die diesen Namen heute kaum noch verdienen) ins Haßliebe-Europa herübersickern und, wie im Falle von ADF, überraschende Assimilationseigenschaften aufweisen. Selbst die diesjährige Kölner KickZone-Party erweiterte mit den sympatisch-unprofessionellen DJ Badmarsh & Shri ihr Spektrum um einen Asian Underground Akt.

Eine Fülle von Filmmusiken auf Kassette und, verkaufstechnisch auf die großen Städte beschränkt, CD’s, die die indischen Bundesstaaten in einem unendlichen Strom überschwemmen und in den großen Filmstädten produziert werden (Mumbai/“Bollywood“ für die meisten Hindi-Filme, Madras für Tamil und Hyderabad für Telugu, um nur einige der wichtigsten zu nennen) gibt es seit der Entdeckung dieses Mediums und seit der logischen Erweiterung der verschiedenen traditionellen Formen von Tanztheater durch jene in Südasien überaus erfolgreichen Filmpaläste.
Inhaltlich ragen nach wie vor nur wenige indische Filme aus einer Schmachtfetzen-Romantik, einem Hero & Villain-Spiel und tragikomischen Lovestories heraus - und von den herausragenden Filmen soll hier nicht die Rede sein. Innovativ ist jedoch die geradezu geniale Verknüpfung alter und neuer Filmhits mit den musikalischen Spielarten von Rap (immer noch überwiegend), House, Disco und Techno, selbst ohne Ausschluß des Jungle. Das es sich hierbei sehr selten um Koproduktionen mit ausländischen Anteilen handelt, entspricht dem landestypischen Autarkiebestreben („Made by Indians for Indians“). Die Sounds klingen im übrigen weniger ungewohnt als ein erstes Vorurteil erwarten ließe, sind doch Drums und Beats seit alten Zeiten ein bestimmendes Element der indischen Musik.
Diesen Klangwelten werden die teils poppigen, teils brachialen Soundtracks von AFLATOON und PARDES (Tips 1997) - auch hier schweige ich mich über filmische Inhalte aus - genauso gerecht wie die Remix-Versionen PARDES 98 (Tips 1998) und HEERA (Venus 1997). Letzteres „Bhangra-Mix“-Album versucht mit den besten Auskopplungen des Movies fast alle Stilbereiche von „Traditional Touch“ bis zum „Garage Mix“, „Jungle Mix“, „Tecno Mix“ und “Desi Mix“ abzudecken. Gleichfalls auf Venus Records & Tapes pvt. ltd. erschienen ist das zweifache FIX TO MIX - Album der Remix-DJ’s HARRY & VIPIN ANAND. Indes werden hier auch viel zu flache Register gezogen, die die von einigen Nachahmversuchen geprägten Aufnahmen rasch in die Nähe eines schlechten Michael-Jackson-Sounds abgleiten lassen.

Seit wenigen Jahren läßt sich jedoch auch eine Fülle indischer Popmusikreleases unabhängig von Filmproduktionen verzeichnen. Deren Etablierung ist selbstverständlich bei einer auf Klassik und Metropolen konzentrierten Konzertkultur ungemein schwerer, da die Basis des gemeinsamen Erlebens – wie beim Kino – fehlt. Einen Teil des „Musikimports in die Provinz“ übernehmen dann auch große Karaoke-Shows, die meist anläßlich von Feierlichkeiten in höchst grellem Ambiente zwischen farbigen Lichterketten und glitzernden Stoffen stattfinden.
Das erste erfolgreiche Hindi-Rap Album hieß „Thunda Thanda Rani“, von BABA SENGAL auf Magnasound veröffentlicht. Zu den Anfängen der Hip Hop - Kultur in indischen Großstadtkreisen erinnert sich Riyad Vinci Wadia, seines Zeichens Bohemien und einer der wenigen Schwulen-Aktivisten des Landes: „Als Rap modern wurde, fingen die Leute an, selber Kapuzenpullover zu tragen. Zwar gab es solche Kleidung hier nicht zu kaufen, aber man imitierte sie, so gut es ging - obwohl Bronx-Mode ja nicht besonders gut zu unserem heißen Klima paßt.“
Indipop (ganz richtig, das klingt irgendwie bekannt) kann als weitaus eigenständigere Stilrichtung zeitgenössischer indischer Musik gewertet werden, wird hier neben westlichen Elementen doch viel stärker auf Traditionelles, punjabischen Bhangra und Sufi-Musik zurückgegriffen. Neben ALISHA und DALER MEHNDI wäre vor allem A.R. RAHMAN (sprich: Rachman) zu nennen, dessen 97er und erstes Nicht-Film-Album „Vande Mataram“ (Aarthi 1997) viele Rekorde brach. Hier wird gnadenlos zwischen Tradition, choraler Rockmusik und flippigem Pop gesprungen. Das Ergebnis kann allerdings als gelungen bezeichnet werden und enthält mit „The Gurus of Peace“ auch eine der letzten Aufnahmen des im August letzten Jahres verstorbenen Nusrath Fateh Ali Khan (von A.R. Rahmans Filmkompositions- Talent mag sich auf den „A.R. Rahmen Hit remixed“ [Tips 1997] überzeugt werden). Wegweisend und Veranlassung für Produktionen wie „Vande Mataram“ war das Jubiläumsjahr 1997: 50. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens, jener Nationalstolztag, der sich ganz im Sinne der gegenwärtigen Politik auch im PARDES- Hit „I love my India“ widerspiegelt. „Ma Tujhe Salaam“, der Titeltrack des Rahman- Albums wurde von ihm sogar auf höchster Ebene, im Rahmen der Golden Jubilee Show in Delhi präsentiert.

Selbstverständlich kann nicht über Indien berichtet werden, ohne das GOA- Phänomen zu erwähnen. Obwohl hier sämtliche Wurzeln und Bezüge zum Land fehlen, finden die Fullmoon-Parties - als Überbleibsel der früheren allabendlichen Trance- Feste - in Anjuna, Vagator und Hampi zunehmend begeisterte Anhänger aus der einheimischen Oberschicht und gewinnen so wenigstens ein Stück Authentizität hinzu, Hauptfaktor bleibt aber immer noch ein Haufen inszenierter Party- Touristen, die dem kulturellen Geschehen jenseits des Palmen- Gürtels (Goa) bzw. des Flusses (Hampi) weitgehend ignorant gegenüberstehen. Darüber hinaus sind da immer noch die Verdienstmöglichkeiten für geschäftstüchtige Restaurant- und Lodge- Besitzer, Souvenirverkäufer und korrupte Polizisten.
Insgesamt heißt es, mit Spannung zu warten, was das vielschichtige und kontrastreiche Land, in dem – neben dem nur zu berechtigten politischen Negativimage - scheinbar alles möglich ist, in Zukunft auf dem Musiksektor hervorbringen wird. Indienfans & Fulltimetraveller: Keep your ears open!

Epilog: Neulich fuhr ich rein zufällig im Wochenendticket-Zug in Richtung Loveparade. Beim allgemeinen Ballermann 2000-Niveau, das sich hier zu einem gewissen Grade breitmachte, und der ach so breiten Akzeptanz dieser hippen Veranstaltung mußte ich mir die Frage stellen, wie selten sich auch hierzulande noch eine Trennung zwischen Popkultur und nationalen Großereignissen aufrechterhalten läßt. Das nur am Rande.

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