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Mick Harris
Private Apocalypse in purem Sound

unbekannter Autor

Atmosphäre. Die leicht sensationsgierig - mit Befürchtungsunterton - auf düstere Stimmung eingestellten Grundparameter sollten sich schnell in Lockerheit verwandeln, denn Mick Harris, der kleine Birminghamer mit dem unbestreitbaren Hang zur dunklen Aura, gab sich zum Interviewtermin gelöst bis freundlich aufgeschlossen und offenbarte ganz nebenher beim zweiten Eindruckgewinnen die andere Seite seiner Persönlichkeit, eine, die unübersehbar mit hektischer Nervosität verbunden ist (spielte u.a. die ganze Zeit mit einem Serviettenrest und einem Nagel, immer neue kleine Fetzen reißend ...) und die notwendige energetische Explosivität rückversichert, die er als Drummer von Napalm Death und Painkiller brachial und druckvoll unter Beweis stellen konnte bzw. kann. So wurde halt einem fast schon liebgewonnenem Klischee entgegen gewirkt, daß sich unter langjährigem Scorn- Konsum vorbereitete, unter Vernachlässigung des Backgrounds und Nebengeschehens gedieh, mit Gerüchten über exzessiven Drogenkonsum und damit einhergehendem Kontrolleverlust sich vermengte und schließlich als Höhepunkt die Erfahrung des ersten Treffens in sich barg. Letzteres im Rostocker Unplugged- Klub - als Ersatz für die zu jenem Zeitpunkt nicht zur Verfügung stehende MS Stubnitz -, Mick Harris aka Scorn live, unterstützt von dem phantastischen P.C.M. Sound System- die ja auch den unglaublich finsteren und vieles an Soundentwicklung im Drum´n´Bass antizipierenden Remix von Scorns „Nightmare“ zur Remix- Platte „Ellipsis“ beisteuerten, die übrigens jedem ans Herz gelegt sei. Der Raum angefüllt mit endlosen Untergangsdrones, Effekte kämpften gegen die Wände und zerschnitten die Luft, schwere Beats zerschlugen aus der Tiefe heraus den letzten Fetzen Frohsinn, dazu visuelle Entsprechnungsversuche bzw. - aufladungen in Videos: Atompilze, Tier- und Menschenversuche, fraktale Andeutungen, zuckende Leiber im Schmerzkrampf, flutende Katastrophenballungen ...- gnadenlos kurz geschnitten und sinnbetäubend, ein Zuviel des Nichtguten für den schweifenden Augenblick. Mick Harris schließlich im Gespräch voll bis zur Explosion mit negativer Energie, Gift und Galle verbal über den damaligen Partner KK Records schüttend und die allgemeine Situation schicksalshaft als die eines Einzelkämpfers gegen den fiesen Weltenrest deutend, Ausweglosigkeit im Grundton und zur Prophetie geronnen. Dahinter den Gesamteindruck vervollständigend Nachfragen aus dem mitgereisten Umfeld (Tourmanager?), wo es denn hier eigentlich Heroin geben würde ... nun ja. Unbeeindruckt hinterließ mich dies jedenfalls nicht. So baut sich ein mit der alten Authenzitätsproblematik behaftetes Bild auf, das sich aber eigentlich nicht auf eine Person, sondern immer zuerst auf den Sound bezieht und nur bei Notwendigkeit projeziert wird- wenn auch nicht ungern und zugegebenermaßen oftmals vorschnell.
Jedenfalls: wir haben es schon immer geahnt bzw. behauptet, zur künstlerisch ausgedrückten Depression gehört die Manie, dies Yin- Yang- Geschaukel ist wohl eine der mighty unseen forces, die da so all die Dinge möglich macht. Eine bewährte Form von Ausgeglichenheit. In manchen Beziehungen scheint es Harris zudem nunmehr auch bedeutend besser zu gehen, das Umfeld stimmt wieder und die über Innen- Außen- Komplexe angetriebene Kreativmaschinerie hat neue Einstiegslöcher in die gesellschaftliche Realität eines Musikbusiness, denn mit Sub Rosa und WordSound ist er derzeit wohl ideal untergebracht und die Freude darüber war ihm auch anzumerken. Was an den Grundeinstellungen aber auch nichts ändert- leicht wird es uns hier wohl nie gemacht und das ist gut so! Die experimentelle Spielwiese ist rauhreifüberzogen, die Erde verbrannt und der Himmel ein dunkel glühendes Etwas, aus dem brennende Songfetzen in die somnambule Daseins- Leere fallen, die angefüllt ist mit sägend- zischelnd- sausend- pfeifend- schneidend- erdrückenden Geräuschkreationen.
Atmosphäre?! Ein Versuch jedenfalls- tieffliegende Phantasmagorien im Assoziationsansatz. Die Sich- ein- Bild- machen- Methode als ein Transformierungsversuch, das Auffangen einer Rückwirkung, die ein spezieller Sound hervorruft, der die Sinne an- und den Körper ergreift. Was in aller Hilflosigkeit ist naheliegender - fragt sich mein Ego (dessen offenbarte Einstellung nur ein Angebot sein kann) - bei den, so offen und eingehend rezipiert, an der emotionalen Substanz existentiell rüttelnden Soundkonstrukten, die uns seit Anfang der 90er von Scorn in die Eigen- Welt gesenkt wurden, damals noch das Duo Mick Harris und Nick Bullen, der 1995 das Feld räumen mußte. „Suicidal Dub“ mit höchstem Suchtfaktor, der eine partielle Verwurzelung im Industrial nicht verleugnen konnte, der langsam den hybriden Charakter und damit einen Teil von aufregend unausgewogener Spannung abstreifte, als er die aus der Napalm Death- Vergangenheit mitgeschleppten Gitarrenelemente aus dem Sound verbannte- genauso wie später auch die klagenden Vocals-, um sich zu purifizieren, sich nur noch dem ausgeklügelten Kaltsound ergebend, durch den sich gigafette Basslines fräsen und der von harten Beats erschüttert wird. Entschleunigung bis zur Nullstufe, Eindringlichkeit im Sound bis zur klaustrophobischen Unentrinnbarkeit, unikale Gestalt und doch auch Vorwegnahme von Entwicklungen, die so WordSound oder Illbient vorbereitete, andersartig kongeniale Gefährten beispielsweise in God oder Techno Animal fand bzw. findet, irgendwie Seelenverwandte aber bestimmt auch in Coil oder Meat Beat Manifesto oder Muslimgauze. Reihe bitte selbst verbessern/ vollständigen. Wobei gerade der Purismus interessant ist, die Soundbezogenheit, die sich interpretatorisch verweigert, einer determinierenden Analyse entgegenstellt- wozu paßt, daß der von mir ausgedachte Einstieg ins Interview, nämlich über das im letzten Zonic enthaltene Bert Papenfuß- Poem „gröpsy & teddy“, vollständig scheiterte, da Harris mit den Aleister Crowley- Bezügen nichts anzufangen wußte, und dies, obwohl auf der ersten Equations of Eternity-CD ein fettes Zitat plus ominöses Symbol untergebracht waren. Die Frage des Kontextes hätte jedenfalls an Eraldo Bernocchi weitergeleitet werden müssen, Harris gab sich unschuldig bis unwissend...
Scorn nun ist jedenfalls verschwunden, neue Outfits sind Kollaborationen wie die bereits erwähnten Equations of Eternity (mit Mister Überall/Überbass Bill Laswell und dem italienischem Soundtüftler Eraldo Bernocchi), im Duo zusammen mit Bernocchi (checkt die vorherige Platte „Lady Overload“, wenn ihr wissen wollt, was ein Drum´n´Bass- Tornado ist, neue Platte mit Soundverschiebung und Verlangsamung: „Total Station“ out now), mit dem PCM- Member Neil Harvey aka DJ Warp mal wieder im ultraharten Drum´n´Bass- Bereich a la No-U-Turn oder solo zuletzt als The Weakener mit klanglich nicht zu dicht umwucherten, klaren straigthen Dope Beats, angedacht ist zudem noch eine Albumscollaboration mit dem gleichfalls aus Birmingham stammendem Technohead Surgeon. Arbeitswut galore. Hierzu und üblichem Weiteren siehe den folgenden Frage- Antwort- Komplex:

Z: Laß uns kurz die Vergangenheit anreißen. Dein Beginn als Musiker war bei Napalm Death...
MH: Ich war Drummer und- um ehrlich zu sein- auch Hauptsongwriter von 1985 bis Juni 1991, dann stieg ich aus, weil die anderen nicht bereit waren, neue Einflüsse aufzunehmen. Sie waren halt klassische Rocker, vom Background her jedenfalls, sie hörten zwar auch andere Musik, aber an einer wirklichen Entwicklung waren sie nicht interessiert. Die ganze Szene begann damals, langweilig zu werden, sich nur noch in Selbstkopien zu ergehen. Aber es war eine gute Zeit, die besten Konzerte hatten wir übrigens immer in Deutschland.
Z: Hatte die Auseinanderentwicklung etwas mit der Entdeckung von Dub zu tun oder kam die schon früher?
MH: Ich habe immer schon die unterschiedlichsten Musiken gemocht, dazu gehörte natürlich auch schon ganz früh Dub. Wir haben viel Radio gehört, Geld für Platten hatte ich nicht und gute Läden gab es damals, Anfang der 80er, sowieso keine in Birmingham. John Peel war unser Mann, wir schnitten seine Sendungen mit, er hatte einen wesentlichen Einfluß. Neben Dub war da auch viel späte New Wave, Birthday Party oder PIL, aber auch This Mortail Coil, Cocteau Twins ..., dann natürlich auch Industrial, allerdings nicht die frühen Sachen wie Throbbing Gristle, Industrial bedeutete für mich eher SPK, Einstürzende Neubauten usw. ...
Z: Als realer Drummer bist Du ja noch bei Painkiller zusammen mit Bill Laswell und John Zorn aktiv, was hebt dieses Projekt von den anderen ab?
MH: Painkiller ist totale Freiheit, es kann einfach in jede Richtung gehen, nichts ist vorbestimmt, ich kann mich als Drummer voll ausleben. Es war nie mein Anliegen, besonders genau auf den Punkt zu spielen, das ist nicht mein Stil, ich bin ein „shit fucking drummer“, es geht um Energie.
Z: Hat das Verschwinden des Projektnamens Scorn etwas mit den Querelen bei KK Records zu tun?
MH: Nun, ich denke, mit Scorn weit genug gegangen zu sein, es ist vorbei und neue Dinge stehen jetzt an. Es wird nur noch ein paar Auftritte in den USA geben, zwei Wochen im April, weil Scorn dort nie so präsent war. Invisible- sie veröffentlichten die letzte Scorn- Platte in den USA und einen Live- Release-, sie wollen, daß ich dies noch für sie mache ..., das war es dann. Aber es stimmt, daß KK vertraglich noch zwei Alben von mir wollte und die sollten sie nicht kriegen, denn sie haben mich nie in der entsprechenden Weise als Künstler respektiert, es gab einen Punkt, an dem eine Fortsetzung der Arbeit mit ihnen unmöglich wurde und sie wollten mich nicht gehen lassen. Es hat aber schließlich nicht meine Art zu arbeiten in Frage gestellt, sondern mich eher bestärkt, mich länger und stärker über die Dinge nachdenken lassen. Bei Sub Rosa habe ich nun die Freiheit und den Respekt, der notwendig ist. Ich werde einfach keine Langzeitverträge mehr unterzeichnen, das ist alles Bullshit, der dich behindert. Mit Wordsound gibt es nicht einmal einen Vertrag ... Es geht nur um Musik. Wir verehren einander, zollen Respekt und können einander vertrauen, es ist perfekt. Nur so kann sich etwas entwickeln, so konnte Wordsound zu dem jetzigen Stand kommen.
Z: Wie hast Du die Wordsound- Posse kennengelernt?
MH: Ich traf Skiz 1993 zum ersten Mal, das war bei Laswell im Studio, wir machten gerade Aufnahmen für Painkiller. Wir sprachen ein wenig über Dub, kamen uns näher und ein paar Jahre später schickte ich ihm einfach ein DAT, fragte an, ob er interessiert sei und wenn nicht, sollte er mir die Sache zurückschicken... das ist alles, ganz simpel- für mich ideal.
Z: Ist The Weakener ein neuer Projektname und hat es eine persönliche Bedeutung?
MH: Es ist erstmal nur der Name für diese Sache auf WordSound, hinter der die Idee steht, etwas anderes als Scorn zu machen, keine Breakbeats zu verwenden, nur „solid beats, solid bass“ und ein paar Melodien, oder besser Drones, die Melodien kreieren, es sollte etwas dichter werden. Natürlich hat The Weakener auch eine Bedeutung für mich- to be weakened means to be extremely pissed off and that´s what I am. I am the weakener.
Z: Ist es vielleicht so, daß man für Musik, wie du sie kreierst, so etwas wie Schmerz braucht, eine Art persönliche Karthasis, die zu durchlaufen ist?
MH: Ich bin sehr schnell zu beeinflussen, viele Dinge stören mich wirklich... Diese Stimmungen setze ich dann um, wenn ich im Studio bin. Ich arbeite sehr schnell- immer: ein Tag, und es ist getan-, so wirkt das natürlich sehr direkt. Ich bin schon eine Person, die sich von vielen Sachen bedroht fühlt, angegriffen... ich bin sehr deprimiert, aber auch oft eine „hyperactive happy person“... Ich denke, da ist auch sehr viel Schönheit in der Musik, beides hat seinen Anteil und läßt zusammen etwas entstehen. Ich kann das Haus aber natürlich in einer wahrhaft schlechten Laune verlassen und verarbeite das im Studio und es funktioniert- sehr gut sogar.
Z: Das kann ich mir vorstellen ... Hast Du eine Idee davon, wie das auf die Zuhörer wirkt?
MH: Um ehrlich zu sein: es ist mir völlig egal. Ich arbeite für mich allein und wenn es jemandem nicht gefällt, liegt der Fehler nicht bei mir. Es ist nicht meine Intention, irgend jemand zu erfreuen, um so besser natürlich, wenn es gemocht wird. Ich achte auch nicht auf´s Publikum, wenn ich live auftrete, ich kriege höchstens danach ein Feedback, daß die Leute gegangen sind oder vielleicht sogar ein paar tanzten, was auch immer...
Z: Wenn es also ein Konzept gibt, dann geht es dabei nur um Dich?
MH: Ja, all das bin nur ich- Mick Harris! Konzepte interessieren mich nicht, es geht nur um puren Sound. Auch bei Napalm Death ging es mir eigentlich nie um den politischen Hintergrund, für mich waren es einfach energievolle Platten. Ich drücke mich selbst aus und versuche dies genauso in Kollaborationen.
Z: Du hast in letzter Zeit ja besonders viel mit Eraldo Bernocchi zusammengearbeitet, wie arbeitet es sich mit ihm?
MH: Bernocchi hat eine Menge phantastischer Ideen, arbeitet mit interessanten Sounds und ist ein guter Gitarrist, es läuft sehr gut mit ihm... auch wenn ich mit einigen kleinen Parts auf dem neuen Album nicht voll zufrieden bin. Es war das erste Album im neuen Studio und wir arbeiteten auch zu ersten Mal direkt zusammen. Eraldo kam ´rüber mit Sampler, Effekten und Gitarre und wir versuchten, die Ideen, die wir hatten, dann zusammenzubringen, wir hatten nichts abgesprochen und fingen sofort mit den Aufnahmen an, das Album ist innerhalb von 11 Tagen fertig geworden. Ich machte die Beats und ein paar Sounds und den Rest machte Eraldo, ich hatte irgendwann nicht mehr viel zu tun und das Gefühl, das die Sache ein wenig aus meiner Kontrolle entglitten war, während Eraldo Gitarre spielte, Gitarre samplete, Samples bearbeitete ..., Eraldo machte dies, machte das ...und ich saß etwas ´rum. Das nächste Mal müssen wir uns vorher hinsetzen und die Dinge abstimmen Aber es ist ein gutes Album geworden... die Maxi allerdings entspricht mir noch mehr, die ist rough´n´dirty ...
Z: Mich störten einige der Gitarrenfrickeleien ...
MH: Da stimme ich dir zu ...
Z: Beim Equations of Eternity“- Projekt dagegen habt ihr Euch ja die Einzelteile zugeschickt.
MH: Ja, ich sendete die Beats und einige Drone- Sounds, Bill Laswell spielte dazu die Basslines und Eraldo setzte alles zusammen und machte den Sound. Gerade arbeitet er übrigens am neuen Album, das soll im Herbst erscheinen, eigentlich müßte es längst fertig sein- ich bin schon selbst gespannt. Danach wird es auch eine Tour geben, im späten Herbst oder im Frühjahr, wir als Trio und dazu noch DJs, um die Sache rund zu machen. Ich denke, das wird eine spannende Sache.

Wovon wohl auszugehen sein dürfte. Bis dahin checkt die neuen Sounds- zu denen inzwischen auch das erwähnte neue Equations Of Eternity- Album „Veve“ gestoßen ist, tiefgelegte und rhythmisch verschleppte Klangalchemie um okkulten Message- Kern (again!) -, und sucht nach den älteren Sachen, es lohnt sich, nur keine Angst in der Dunkelheit!

Aktuelle Releases:

The Weakener „What Do You Know About It“ CD/LP
Equations of Eternity „s/t“; „Veve“ beide CD
alle Wordsound/EFA
Mick Harris/ Eraldo Bernocchi „Total Station“ CD/LP plus Remix- Maxi;
Mick Harris & Neil Harvey „Shortcut to connected“ CD/ 2x12“
alle Sub Rosa/ EFA
Scorn „Zander“ CD/LP; KK/ Rough Trade, alle früheren Releases bei Earache
Painkiller- Rereleases CD; Tzadik/ 99

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