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Audio Active
Reggae Against The Machine

Oliver Weiße
Versucht man als Eingeborener dieses Breitengrades mit sensibilisierten Gehörgängen dubkosmologische Beson-derheiten aufzuspüren, so kann es sein, daß man nach unzähligen ups&downs mit wohlwollender Befindlichkeit auf pulsierenden Frequenzen made in Tokyo verweilt. Pulsierend meint hier im speziellen anziehend, loslösend, festhaltend, vereinnahmend, ein berauschtes Ergebensein im Visier von Effektladungen, die als Medium Bassdruckluft benutzen, um Soundgefühle direkt in unsere Überlebensmechanismen einfließen zu lassen. Hat man einmal diese audio aktiv gepushten Befindlichkeitsstadien durchlebt, so ist man infiziert, initiiert und zugleich Mitglied einer Soundgemeinschaft, die ihre vereinsspendende Kraft aus dubistisch abgesicherten Identifizierungsmomenten speist.

Diese Momente sind bekanntlich individuell und global-plural gestreut, jeder Mensch, der sich von jamaicani-scher Musik inspirieren läßt, sei es als Listener, Soundsystem-Member oder Producer, nutzt den dubphilosophischen Konsens mit seinen spirituellen und mixtechnischen Rebellionen, um auf dieser Basis entsprechende Klanginstallationsräume für befriedigende Assoziationen entstehen zu lassen. Die Dub-Revolution des KING TUBBY in den frühen Siebzigern kennzeichnet dabei mit ihrem Dubbin’in & out den technischen Background (im Sinne von etwas hinzufügen, oder etwas weglassen, aber das ganze in möglichst effektvollem Wechselspiel zwischen Minimalismus und Soundpower...) und ist somit quasi ein bewußt oder unbewußt rezipiertes Merkmal zur Dynamisierung von Musikproduktionen geworden. Der Schritt vom DJ zum Producer war eine der Folgeerscheinungen dieser Entwicklung. Gewisse spirituelle Erfahrungen, die mit diesem inzwischen populären Musik-stil kulturell gekoppelt sind, deutet heute schließlich jede/r für sich. Die Facetten des Dub&Reggae-Programms sind bekanntlich reichhaltig und werden selektiert gerne benutzt, um außerplanetarische audio-visuelle Gesetzmäßigkeiten in Kraft treten zu lassen. Das Nichtfaßbare wird dabei thematisiert, metaphorisch aufgeladen und in Sounds verpackt, mit dem entsprechende Assoziationsräume freigesetzt werden. Natürlich gibt es die unter-schiedlichsten Stile, mit Genies, genialen Dilettanten und langweilenden Aufschneidern, das einzige Ergebnis was jedoch zählt, sind tiefe vereinsspendende Vibes aus Boxentürmen, die dieses Leben mit Teilsinnen anrei-chern, ist der Sound über den geredet wird, der anscheinend einen Gefühlskonsens berührt... Egal, wo man in diesem Kontext existiert, ob im Ghetto als I and I in Verbindung mit the most I Jah, als ScienceFiction-Filmheld oder als Westernschütze in einer imaginären Dubwelt, die Wirkung des treibenden Basses, der Vocals in ihrer Bandbreite von ausgelassener Albernheit über originelle Lobpreisungen bis hin zu melancholischem Tiefgang, verbinden den Bauch mit dem Kopf und sind als stimmungserzeugende Grundelemente immernoch Bestandteile aktueller dubbeeinflußter Produktionen. Oft verflacht ein Dub auch im Prozeß der Dekonstruktion, er löst sich auf, ausgedünnte Spielereien lassen dann den Schluß zu, daß neodubistische Innovationskraft beständig versickert. Darum soll als Gegenstand dieses Berichtes eine inzwischen rituell bedingte Konstante vorgestellt werden, deren frequentielle Ausstrahlungskraft über Jahre hinweg alles in sich vereinigt, um die hohen Künste des Dub-bin’In and out fernab von emotionslosen Soundtüffteleien zukunftsspendend zu repräsentieren.
Anlaß und Bestätigung dieser gedruckten Worte findet ihr in APOLLO CHOCO, der letztjährigen Klangoffensive von Masa the Al-Tamyran, 2DD und Nanao, den drei Protagonisten des siebenköpfigen japanischen Musikerkollektivs Audio Active. Ich wußte bisher nie so genau, woran man ich bei ihnen bin, ihre Musik und ihr Image sind aufgeladen mit außerirdischen Bezügen und mit dem von ihnen selbst deklarierten Begriff der „Space Apes“ wird man ihnen wahrscheinlich am ehesten gerecht. Bei einem Zusammentreffen mit denselben vor dem Märzkonzert in der Hamburger Markthalle bestätigte sich die Sympathieträgerfunktion dieser bisher in time&space unfassbaren Existenzen. Wir waren der erste Interviewtermin und somit herrschte entsprechend nüchterne Atmosphäre (Shots&Thanx to Maggi). Der Tourbegleiter brachte uns zur soundcheckenden Band, Masa nahm uns in Empfang, bedeutete den anderen mittels Handzeichen und Presseruflauten, daß es nun an der Zeit ist, Backstage zu gehen, um sich zu erklären, oder auch nicht. Die dann aus einem Halbkreis auf uns gerichteten erwartungsvollen Blicke ließen Interesse ablesen. Stille, Geplänkel, ahhja, MASA wird zu uns sprechen. Ihm fällt zwar nach eigenen Angaben die songtextuelle Translation japanologischer Mehrdeutigkeiten in die Schranken des Englischen nach fünf Jahren Musikbusiness immer noch schwer, aber er versuchte uns trotzdem in der International Language Of Dub stellvertretend für den anteilnehmenden Rest der Band, mit dem oft Rücksprache gehalten wurde, verbindende Informationen zu übermitteln, die nachfolgend einfließen werden.
Der effektgeladene Aufstieg bis zum Apollo-Chocolate-Programm vollzog sich mittels kontinuierlicher Innovationskraft und sei kurz mit den entsprechenden chronologischen Wegmarken gekennzeichnet. Startschwierigkeiten konnte es für das im November 1993 in Japan veröffentlichte schlicht „Audio Active“ genannte Debutalbum nicht wirklich geben, immerhin fungierte Adrian Sherwood himself als Producer (zu Meisterschaft und Wirkungsradius dieses Masterminds ein respektvoller Querverweis auf das On-U Soundspecial in ZoniC 7). So begünstigte die nach 12 guten Verkaufswochen einsetzende Pleite von Alfa Records in Japan die Aufnahme der asiatischen Soundbrigadiere in die On-U-Familie. „FREE THE MARIJUANA“, von Sherwood überarbeitet und als erste Veröffentlichung im eigenen Haus geplant, avancierte mit der Stimme Bim Shermans, die auf diesem Track Körperhaare aufzurichten vermag, zu einem Clubhit, der bis heute fundamental und essentiell in allen Dub-Haushalten und Soundsystem-Koffern vibriert. Das Erreichen der Spitze der britischen Independent-Charts war Anlaß genug, die restlichen Tunes ebenfalls zu verfeinern und das Album unter „Tokyo Space Cowboys - We Are Audio Active“ im Sommer 1994 auf On-U wiederzuveröffentlichen. Als Supportact für Dub Syndicat im selben Jahr stellten die Cowboys dann unter Beweis, von wo das Pferd aufzusäumen ist, da music of our art is Roots, ya know... Der MASA bestätigte uns namentlich die Inspirationsquelle Lee Scratch Perry, die auf der ersten LP unverkennbar mit der Samplemessage -don’t you fumble, just be humble- hervorsprudelt. Eine neue Label-und Vertriebsstruktur auf ihrer Ursprungsinsel erlaubte den Audio-Aktivisten schließlich, alle gewünschten Japan-Releases auf ihrem eigenen, relativ unabhängigen Label Beat Inc. Records zu veröffentlichen. Das Mini-Album „We Are Experienced“ folgte als Ergebnis dessen kurz darauf und entfaltete sein Hitpotential hauptsächlich in Australien und Neuseeland. Vielleicht ist es mir deshalb bisher noch nicht zu Ohren gekommen... 1995 dominierte jedenfalls der HAPPY SHOPPER unter der Co-Autorenschaft des Maffia-Members Mark Stewart in pushenden Gewändern die Tanzhallen. Das Cover zur Single, auf dem MASA eine Gasmaske trägt, verursachte im Zusammenhang mit dem zwei Wochen nach Auskopplung verübten Giftgasanschlag der Aum-Sekte auf die Tokioter U-Bahn eine unbegründete Kontroverse. Diese Parallele sei „rein zufällig“, äußerte sich Masa zu diesem Topik. Auf der entsprechenden LP „Happy Happer“(wiederum auf On-U) unionierten dann audio aktiv hochkarätige Soundkonglomerate wie Tack>Head und Little Axe mit Soundsupervisor Sherwood als Übersichts-und Einflußfaktor. Der HAPPY HAPPER verdeutlicht in seiner Eigenständigkeit erstmals das Cosmic-Music-Konzept der Japaner. Es gibt für sie bei der Besteigung des DUB-Olymp mit den Einflüssen Perry, Sun Ra und Hendrix zur Seite keine beat-bzw. soundstrukturellen Grenzen. Ihre Adventures in Time & Space erzwingen unsere Anteilnahme und lassen die nachfolgenden Releases zu einem Spiegel ihrer Experimentierfreude werden. 1995 war für sie unter Einwirkung des Brian Eno-Vetrauten Laraaji (All Saints Records...) auch das Jahr des psychedelisch skizzenhaften „The Way Out Is The Way In“. Die angedeutete konzeptionelle Flexibilität manifestiert sich auf dieser Double 12“ in vielschichtig ambientesken Dubtrips, die ihre Vervollkommnung teilweise durch Laraaji’s bizarr euphorisierende Stimme erleben. Japanisch handgewebte Soundteppiche, die das Fliegen auf ihnen zu einem skurrilen Erlebnis werden lassen verkauften sich reibungslos und somit wurde dem Remix-und Produzentenruhm audio active ein öffentlich anerkannter Grundstein gesetzt, der sie 1996 ganz in dieser Rolle aufgehen ließ. Sie remixten einheimische Musiker und Bands wie Air, Psycodelicious, Denki Groove’s Sunahara, Surf Coasters, Masahiro Motoki (kurzes Namedropping für interessierte Japan-Touristen), bis hin zu Dub Syndicate und Two Bad Card. In der EP „START REC“(On-U, Producer Sherwood) kanalisierte sich dann freigesetzte Innovationskraft in Dub-n-Breakbeat Phantasmagorien gepaart mit BigBeat-Attituden. Wid Adrian it always happened to be in a fine style, während Masa, Nanao und 2DD weiterhin als Metalic TO DJ-Team mit Drum’n’Bass, Jungle, Noise und Gitarrenelementen experimentierten, um die Perfektion auch als Produzenten von zwei wöchentlichen Radioprogrammen in Tokyo ständig multipel forcieren zu können. Die Quintessenz dieser Entwicklungslinien ist das Apollo Choco-Destillat, das entfernteste Sounds und Einflüsse nach Sherwoodianischen Formeln miteinander reagieren läßt. Diese Dubalchemie läßt sich nicht mit Elementanalysen eindäm-men, sie erfordert offene Ohren und Herzen, denn wenn Lionheart-Basslines mit industriellen Geräuschelementen, schwirrender Synthetik, technoider Rythmussubstanz, gedopten Beats und Vocals ihre musikalische Erweckungskraft in einer fesselnden Fusion entfachen, die von knisternder Rootsatmosphäre über Breakbeat-Konfusionen in existenzielle Akustik-Angriffe münden kann, so ist Coolness & Foolishness geboten, um diesen Soundimpressionen standhalten und folgen zu können. Auffallend anders im Vergleich zu den bisherigen Veröf-fentlichungen ist die rockige Härte, mit der die Tracks teilweise einhergehen. Live fand dieser Fakt seine Umset-zung in der schneidenden Omnipräsenz des Gitarreros (der laut Ohrenzeugenberichten in Berlin noch energischer in den Vordergrund gemixt wurde und Heavymatten zu Ausdünstungen anregte), das demokratische Grup-penprinzip hatte ihn anscheinend zu einem entscheidenden Apollo-Mitgestalter werden lassen. So erschien Masa die Frage nach der Andersartigkeit dieses Albums (das auf Vinyl übrigens als ebenso zwingende Double 12“ der Remixversions erhältlich ist) als relativ unverständlich. Es sei organisch aus ihnen herausgewachsen, das folgerichtige Produkt ihrer atheistischen Dubphantasien und somit steht es außerhalb von zersetzenden Zeit-und Raumdiskussionen...
Als energiestrotzendes Zeitdokument fordert die Apollo Choco-Expedition letztendlich dazu auf, auch die entferntesten Wahrnehmungshorizonte zu erforschen und miteinander zu verknüpfen. Für sie als Explorer, routinier-te Crew von Soundingenieuren und zugleich CollieWeed Specialists (Gunjah und Heroin werden in ihrer Heimat gleichgesetzt und entsprechend kriminalisiert) bedeuten diese Operationen mit shocking Vibes einen wahrhaften Spaß und sichern ihnen im Babylon-Business-Arrangement eine außerirdische Existenzgrundlage von zufriedenstellender Kategorie. Homegrown-Plantagen, ein selbstorganisierter Vinyl-Shop, sowie Tokyo und London als Stützpunkte für die Erdbeschallung bilden die terrestrischen Basics ihrer erdverbundenen Reise im DubStarLiner. Unter diesem Erlebnisdruck kann ich mich einem gewissen Interesse für die nächste Invasion der ungläubigen Genies nicht entziehen. Bis dann, the return of the Supa Ape 2 steht noch aus, gute Reise & don’t be lazy, just be hazy...

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